"Es ist ein eigenes Ding, erwiederte Goethe. Liegt es in der Abstammung, liegt es im Boden, liegt es in der freien Verfassung, liegt es in der gesunden Erziehung, -- genug! die Engländer überhaupt scheinen vor vielen Andern etwas voraus zu haben. Wir sehen hier in Weimar ja nur ein Minimum von ihnen, und wahrscheinlich keineswegs die besten; aber was sind das alles für tüchtige, hübsche Leute! Und so jung und siebzehnjährig sie hier auch ankommen, so fühlen sie sich doch in dieser deutschen Fremde keineswegs fremd und verlegen; vielmehr ist ihr Auftreten und ihr Be¬ nehmen in der Gesellschaft so voller Zuversicht und so bequem, als wären sie überall die Herren und als ge¬ höre die Welt überall ihnen. Das ist es denn auch, was unsern Weibern gefällt und wodurch sie in den Herzen unserer jungen Dämchen so viele Verwüstungen anrichten. Als deutscher Hausvater, dem die Ruhe der Seinigen lieb ist, empfinde ich oft ein kleines Grauen, wenn meine Schwiegertochter mir die erwartete baldige Ankunft irgend eines neuen jungen Insulaners ankün¬ digt. Ich sehe im Geiste immer schon die Thränen, die ihm dereinst bei seinem Abgange fließen werden. -- Es sind gefährliche junge Leute; aber freilich, daß sie gefährlich sind, das ist eben ihre Tugend."
Ich möchte jedoch nicht behaupten, versetzte ich, daß unsere Weimar'schen jungen Engländer gescheuter, geist¬
„Es iſt ein eigenes Ding, erwiederte Goethe. Liegt es in der Abſtammung, liegt es im Boden, liegt es in der freien Verfaſſung, liegt es in der geſunden Erziehung, — genug! die Engländer überhaupt ſcheinen vor vielen Andern etwas voraus zu haben. Wir ſehen hier in Weimar ja nur ein Minimum von ihnen, und wahrſcheinlich keineswegs die beſten; aber was ſind das alles für tüchtige, hübſche Leute! Und ſo jung und ſiebzehnjährig ſie hier auch ankommen, ſo fühlen ſie ſich doch in dieſer deutſchen Fremde keineswegs fremd und verlegen; vielmehr iſt ihr Auftreten und ihr Be¬ nehmen in der Geſellſchaft ſo voller Zuverſicht und ſo bequem, als wären ſie überall die Herren und als ge¬ höre die Welt überall ihnen. Das iſt es denn auch, was unſern Weibern gefällt und wodurch ſie in den Herzen unſerer jungen Dämchen ſo viele Verwüſtungen anrichten. Als deutſcher Hausvater, dem die Ruhe der Seinigen lieb iſt, empfinde ich oft ein kleines Grauen, wenn meine Schwiegertochter mir die erwartete baldige Ankunft irgend eines neuen jungen Inſulaners ankün¬ digt. Ich ſehe im Geiſte immer ſchon die Thränen, die ihm dereinſt bei ſeinem Abgange fließen werden. — Es ſind gefährliche junge Leute; aber freilich, daß ſie gefährlich ſind, das iſt eben ihre Tugend.“
Ich möchte jedoch nicht behaupten, verſetzte ich, daß unſere Weimar'ſchen jungen Engländer geſcheuter, geiſt¬
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„Es iſt ein eigenes Ding, erwiederte Goethe.
Liegt es in der Abſtammung, liegt es im Boden, liegt
es in der freien Verfaſſung, liegt es in der geſunden
Erziehung, — genug! die Engländer überhaupt ſcheinen
vor vielen Andern etwas voraus zu haben. Wir ſehen
hier in Weimar ja nur ein Minimum von ihnen, und
wahrſcheinlich keineswegs die beſten; aber was ſind
das alles für tüchtige, hübſche Leute! Und ſo jung und
ſiebzehnjährig ſie hier auch ankommen, ſo fühlen ſie
ſich doch in dieſer deutſchen Fremde keineswegs fremd
und verlegen; vielmehr iſt ihr Auftreten und ihr Be¬
nehmen in der Geſellſchaft ſo voller Zuverſicht und ſo
bequem, als wären ſie überall die Herren und als ge¬
höre die Welt überall ihnen. Das iſt es denn auch,
was unſern Weibern gefällt und wodurch ſie in den
Herzen unſerer jungen Dämchen ſo viele Verwüſtungen
anrichten. Als deutſcher Hausvater, dem die Ruhe der
Seinigen lieb iſt, empfinde ich oft ein kleines Grauen,
wenn meine Schwiegertochter mir die erwartete baldige
Ankunft irgend eines neuen jungen Inſulaners ankün¬
digt. Ich ſehe im Geiſte immer ſchon die Thränen,
die ihm dereinſt bei ſeinem Abgange fließen werden. —
Es ſind gefährliche junge Leute; aber freilich, daß ſie
gefährlich ſind, das iſt eben ihre Tugend.“
Ich möchte jedoch nicht behaupten, verſetzte ich, daß
unſere Weimar'ſchen jungen Engländer geſcheuter, geiſt¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/271>, abgerufen am 22.11.2024.
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