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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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ten ein Gewimmel lustiger Menschen in hellfarbigen
Kleidern, die sich bei schöner Musik, die aus den Zelten
herübertönte, einen guten Tag machten. "Da ist nun
weiter nichts zu thun, sagte Einer zum Andern, wir
müssen uns entkleiden und hinüber schwimmen." -- Ihr
habt gut reden, sagte ich, ihr seid jung und schön und
überdieß gute Schwimmer. Ich aber schwimme schlecht
und es fehlt mir die ansehnliche Gestalt, um mit Lust
und Behagen vor den fremden Leuten am Ufer zu er¬
scheinen. "Du bist ein Thor, sagte einer der schönsten;
entkleide dich nur und gieb mir deine Gestalt, du
sollst indeß die meinige haben". Auf dieses Wort ent¬
kleidete ich mich schnell und war im Wasser und fühlte
mich im Körper des Anderen sofort als einen kräftigen
Schwimmer. Ich hatte bald die Küste erreicht und
trat mit dem heitersten Vertrauen nackt und triefend
unter die Menschen. -- Ich war glücklich im Gefühl
dieser schönen Glieder, mein Benehmen war ohne
Zwang, und ich war sogleich vertraut mit den Fremden
vor einer Laube an einem Tisch, wo es lustig herging.
Meine Cameraden waren auch nach und nach an's
Land gekommen und hatten sich zu uns gesellt, und es
fehlte mir noch der Jüngling mit meiner Gestalt, in
dessen Gliedern ich mich so wohl fühlte. -- Endlich
kam auch er in die Nähe des Ufers und man fragte
mich: ob ich denn nicht Lust habe mein früheres Ich zu
sehen? Bei diesen Worten wandelte mich ein gewisses

16 *

ten ein Gewimmel luſtiger Menſchen in hellfarbigen
Kleidern, die ſich bei ſchöner Muſik, die aus den Zelten
herübertönte, einen guten Tag machten. „Da iſt nun
weiter nichts zu thun, ſagte Einer zum Andern, wir
müſſen uns entkleiden und hinüber ſchwimmen.“ — Ihr
habt gut reden, ſagte ich, ihr ſeid jung und ſchön und
überdieß gute Schwimmer. Ich aber ſchwimme ſchlecht
und es fehlt mir die anſehnliche Geſtalt, um mit Luſt
und Behagen vor den fremden Leuten am Ufer zu er¬
ſcheinen. „Du biſt ein Thor, ſagte einer der ſchönſten;
entkleide dich nur und gieb mir deine Geſtalt, du
ſollſt indeß die meinige haben“. Auf dieſes Wort ent¬
kleidete ich mich ſchnell und war im Waſſer und fühlte
mich im Körper des Anderen ſofort als einen kräftigen
Schwimmer. Ich hatte bald die Küſte erreicht und
trat mit dem heiterſten Vertrauen nackt und triefend
unter die Menſchen. — Ich war glücklich im Gefühl
dieſer ſchönen Glieder, mein Benehmen war ohne
Zwang, und ich war ſogleich vertraut mit den Fremden
vor einer Laube an einem Tiſch, wo es luſtig herging.
Meine Cameraden waren auch nach und nach an's
Land gekommen und hatten ſich zu uns geſellt, und es
fehlte mir noch der Jüngling mit meiner Geſtalt, in
deſſen Gliedern ich mich ſo wohl fühlte. — Endlich
kam auch er in die Nähe des Ufers und man fragte
mich: ob ich denn nicht Luſt habe mein früheres Ich zu
ſehen? Bei dieſen Worten wandelte mich ein gewiſſes

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[243/0265] ten ein Gewimmel luſtiger Menſchen in hellfarbigen Kleidern, die ſich bei ſchöner Muſik, die aus den Zelten herübertönte, einen guten Tag machten. „Da iſt nun weiter nichts zu thun, ſagte Einer zum Andern, wir müſſen uns entkleiden und hinüber ſchwimmen.“ — Ihr habt gut reden, ſagte ich, ihr ſeid jung und ſchön und überdieß gute Schwimmer. Ich aber ſchwimme ſchlecht und es fehlt mir die anſehnliche Geſtalt, um mit Luſt und Behagen vor den fremden Leuten am Ufer zu er¬ ſcheinen. „Du biſt ein Thor, ſagte einer der ſchönſten; entkleide dich nur und gieb mir deine Geſtalt, du ſollſt indeß die meinige haben“. Auf dieſes Wort ent¬ kleidete ich mich ſchnell und war im Waſſer und fühlte mich im Körper des Anderen ſofort als einen kräftigen Schwimmer. Ich hatte bald die Küſte erreicht und trat mit dem heiterſten Vertrauen nackt und triefend unter die Menſchen. — Ich war glücklich im Gefühl dieſer ſchönen Glieder, mein Benehmen war ohne Zwang, und ich war ſogleich vertraut mit den Fremden vor einer Laube an einem Tiſch, wo es luſtig herging. Meine Cameraden waren auch nach und nach an's Land gekommen und hatten ſich zu uns geſellt, und es fehlte mir noch der Jüngling mit meiner Geſtalt, in deſſen Gliedern ich mich ſo wohl fühlte. — Endlich kam auch er in die Nähe des Ufers und man fragte mich: ob ich denn nicht Luſt habe mein früheres Ich zu ſehen? Bei dieſen Worten wandelte mich ein gewiſſes 16 *

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/265>, abgerufen am 22.11.2024.