man sicher als durchaus wahr und richtig zu ver¬ ehren hat. -- Aber doch will mir scheinen, als ob wohl Jemand durch natürliche Mittel seine productive Stimmung steigern könnte, ohne sie gerade zu forciren. Ich war in meinem Leben sehr oft in dem Fall, bei gewissen complicirten Zuständen zu keinem rechten Ent¬ schluß kommen zu können. Trank ich aber in solchen Fällen einige Gläser Wein, so war es mir sogleich klar, was zu thun sey, und ich war auf der Stelle entschieden. -- Das Fassen eines Entschlusses ist aber doch auch eine Art Productivität, und wenn nun einige Gläser Wein diese Tugend bewirkten, so dürfte ein solches Mittel doch nicht ganz zu verwerfen seyn.
"Ihrer Bemerkung, erwiederte Goethe, will ich nicht widersprechen; was ich aber vorhin sagte, hat auch seine Richtigkeit, woraus wir denn sehen, daß die Wahrheit wohl einem Diamant zu vergleichen wäre, dessen Strahlen nicht nach einer Seite gehen, sondern nach vielen. -- Da Sie übrigens meinen Divan so gut kennen, so wissen Sie, daß ich selber gesagt habe
Wenn man getrunken hat, Weiß man das Rechte,
und daß ich Ihnen also vollkommen beistimme. -- Es liegen im Wein allerdings productivmachende Kräfte sehr bedeutender Art; aber es kommt dabei Alles auf Zustände und Zeit und Stunde an, und was dem Einen nützet, schadet dem Andern. Es liegen ferner
man ſicher als durchaus wahr und richtig zu ver¬ ehren hat. — Aber doch will mir ſcheinen, als ob wohl Jemand durch natürliche Mittel ſeine productive Stimmung ſteigern könnte, ohne ſie gerade zu forciren. Ich war in meinem Leben ſehr oft in dem Fall, bei gewiſſen complicirten Zuſtänden zu keinem rechten Ent¬ ſchluß kommen zu können. Trank ich aber in ſolchen Fällen einige Gläſer Wein, ſo war es mir ſogleich klar, was zu thun ſey, und ich war auf der Stelle entſchieden. — Das Faſſen eines Entſchluſſes iſt aber doch auch eine Art Productivität, und wenn nun einige Gläſer Wein dieſe Tugend bewirkten, ſo dürfte ein ſolches Mittel doch nicht ganz zu verwerfen ſeyn.
„Ihrer Bemerkung, erwiederte Goethe, will ich nicht widerſprechen; was ich aber vorhin ſagte, hat auch ſeine Richtigkeit, woraus wir denn ſehen, daß die Wahrheit wohl einem Diamant zu vergleichen wäre, deſſen Strahlen nicht nach einer Seite gehen, ſondern nach vielen. — Da Sie übrigens meinen Divan ſo gut kennen, ſo wiſſen Sie, daß ich ſelber geſagt habe
Wenn man getrunken hat, Weiß man das Rechte,
und daß ich Ihnen alſo vollkommen beiſtimme. — Es liegen im Wein allerdings productivmachende Kräfte ſehr bedeutender Art; aber es kommt dabei Alles auf Zuſtände und Zeit und Stunde an, und was dem Einen nützet, ſchadet dem Andern. Es liegen ferner
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man ſicher als durchaus wahr und richtig zu ver¬
ehren hat. — Aber doch will mir ſcheinen, als ob
wohl Jemand durch natürliche Mittel ſeine productive
Stimmung ſteigern könnte, ohne ſie gerade zu forciren.
Ich war in meinem Leben ſehr oft in dem Fall, bei
gewiſſen complicirten Zuſtänden zu keinem rechten Ent¬
ſchluß kommen zu können. Trank ich aber in ſolchen
Fällen einige Gläſer Wein, ſo war es mir ſogleich
klar, was zu thun ſey, und ich war auf der Stelle
entſchieden. — Das Faſſen eines Entſchluſſes iſt aber
doch auch eine Art Productivität, und wenn nun einige
Gläſer Wein dieſe Tugend bewirkten, ſo dürfte ein
ſolches Mittel doch nicht ganz zu verwerfen ſeyn.
„Ihrer Bemerkung, erwiederte Goethe, will ich nicht
widerſprechen; was ich aber vorhin ſagte, hat auch
ſeine Richtigkeit, woraus wir denn ſehen, daß die
Wahrheit wohl einem Diamant zu vergleichen wäre,
deſſen Strahlen nicht nach einer Seite gehen, ſondern
nach vielen. — Da Sie übrigens meinen Divan ſo
gut kennen, ſo wiſſen Sie, daß ich ſelber geſagt habe
Wenn man getrunken hat,
Weiß man das Rechte,
und daß ich Ihnen alſo vollkommen beiſtimme. — Es
liegen im Wein allerdings productivmachende Kräfte
ſehr bedeutender Art; aber es kommt dabei Alles auf
Zuſtände und Zeit und Stunde an, und was dem
Einen nützet, ſchadet dem Andern. Es liegen ferner
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/261>, abgerufen am 16.02.2025.
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