Gedanke ganzen Jahrhunderten eine andere Gestalt gab, und wie einzelne Menschen durch das, was von ihnen ausging, ihrem Zeitalter ein Gepräge aufdrückten, das noch in nachfolgenden Geschlechtern kenntlich blieb und wohlthätig fortwirkte."
"Sodann aber giebt es eine Productivität anderer Art, die schon eher irdischen Einflüssen unterworfen ist und die der Mensch schon mehr in seiner Gewalt hat, obgleich er auch hier immer noch sich vor etwas Gött¬ lichem zu beugen Ursache findet. In diese Region zähle ich alles zur Ausführung eines Planes Gehörige, alle Mittelglieder einer Gedankenkette, deren Endpunkte bereits leuchtend dastehen; ich zähle dahin alles das¬ jenige, was den sichtbaren Leib und Körper eines Kunstwerkes ausmacht."
"So kam Shakspearen der erste Gedanke zu seinem Hamlet, wo sich ihm der Geist des Ganzen als uner¬ warteter Eindruck vor die Seele stellte, und er die einzelnen Situationen, Charaktere und Ausgang des Ganzen in erhöheter Stimmung übersah, als ein reines Geschenk von oben, worauf er keinen unmittelbaren Einfluß gehabt hatte, obgleich die Möglichkeit, ein solches Apercü zu haben, immer einen Geist wie den seinigen voraussetzte. -- Die spätere Ausführung der einzelnen Scenen aber und die Wechselreden der Per¬ sonen hatte er vollkommen in seiner Gewalt, so daß er sie täglich und stündlich machen und daran wochenlang
Gedanke ganzen Jahrhunderten eine andere Geſtalt gab, und wie einzelne Menſchen durch das, was von ihnen ausging, ihrem Zeitalter ein Gepräge aufdrückten, das noch in nachfolgenden Geſchlechtern kenntlich blieb und wohlthätig fortwirkte.“
„Sodann aber giebt es eine Productivität anderer Art, die ſchon eher irdiſchen Einflüſſen unterworfen iſt und die der Menſch ſchon mehr in ſeiner Gewalt hat, obgleich er auch hier immer noch ſich vor etwas Gött¬ lichem zu beugen Urſache findet. In dieſe Region zähle ich alles zur Ausführung eines Planes Gehörige, alle Mittelglieder einer Gedankenkette, deren Endpunkte bereits leuchtend daſtehen; ich zähle dahin alles das¬ jenige, was den ſichtbaren Leib und Körper eines Kunſtwerkes ausmacht.“
„So kam Shakſpearen der erſte Gedanke zu ſeinem Hamlet, wo ſich ihm der Geiſt des Ganzen als uner¬ warteter Eindruck vor die Seele ſtellte, und er die einzelnen Situationen, Charaktere und Ausgang des Ganzen in erhöheter Stimmung überſah, als ein reines Geſchenk von oben, worauf er keinen unmittelbaren Einfluß gehabt hatte, obgleich die Möglichkeit, ein ſolches Aperçü zu haben, immer einen Geiſt wie den ſeinigen vorausſetzte. — Die ſpätere Ausführung der einzelnen Scenen aber und die Wechſelreden der Per¬ ſonen hatte er vollkommen in ſeiner Gewalt, ſo daß er ſie täglich und ſtündlich machen und daran wochenlang
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Gedanke ganzen Jahrhunderten eine andere Geſtalt
gab, und wie einzelne Menſchen durch das, was von
ihnen ausging, ihrem Zeitalter ein Gepräge aufdrückten,
das noch in nachfolgenden Geſchlechtern kenntlich blieb
und wohlthätig fortwirkte.“
„Sodann aber giebt es eine Productivität anderer
Art, die ſchon eher irdiſchen Einflüſſen unterworfen iſt
und die der Menſch ſchon mehr in ſeiner Gewalt hat,
obgleich er auch hier immer noch ſich vor etwas Gött¬
lichem zu beugen Urſache findet. In dieſe Region
zähle ich alles zur Ausführung eines Planes Gehörige,
alle Mittelglieder einer Gedankenkette, deren Endpunkte
bereits leuchtend daſtehen; ich zähle dahin alles das¬
jenige, was den ſichtbaren Leib und Körper eines
Kunſtwerkes ausmacht.“
„So kam Shakſpearen der erſte Gedanke zu ſeinem
Hamlet, wo ſich ihm der Geiſt des Ganzen als uner¬
warteter Eindruck vor die Seele ſtellte, und er die
einzelnen Situationen, Charaktere und Ausgang des
Ganzen in erhöheter Stimmung überſah, als ein reines
Geſchenk von oben, worauf er keinen unmittelbaren
Einfluß gehabt hatte, obgleich die Möglichkeit, ein
ſolches Aperçü zu haben, immer einen Geiſt wie den
ſeinigen vorausſetzte. — Die ſpätere Ausführung der
einzelnen Scenen aber und die Wechſelreden der Per¬
ſonen hatte er vollkommen in ſeiner Gewalt, ſo daß er
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/259>, abgerufen am 25.11.2024.
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