Leben schwerer, als billig. -- Ei! so habt doch endlich einmal die Courage, Euch den Eindrücken hin¬ zugeben, Euch ergötzen zu lassen, Euch rühren zu lassen, Euch erheben zu lassen, ja Euch belehren und zu etwas Großem entflammen und ermuthigen zu lassen; aber denkt nur nicht immer, es wäre Alles eitel, wenn es nicht irgend abstracter Gedanke und Idee wäre!"
"Da kommen sie und fragen: welche Idee ich in meinem Faust zu verkörpern gesucht? -- Als ob ich das selber wüßte und aussprechen könnte! -- Vom Himmel durch die Welt zur Hölle, das wäre zur Noth etwas; aber das ist keine Idee, sondern Gang der Handlung. Und ferner, daß der Teufel die Wette verliert, und daß ein aus schweren Verirrungen immer¬ fort zum Besseren aufstrebender Mensch zu erlösen sey, das ist zwar ein wirksamer, Manches erklärender guter Gedanke, aber es ist keine Idee, die dem Gan¬ zen und jeder einzelnen Scene im Besondern zu Grunde liege. Es hätte auch in der That ein schönes Ding werden müssen, wenn ich ein so reiches, buntes und so höchst mannigfaltiges Leben, wie ich es im Faust zur Anschauung gebracht, auf die magere Schnur einer einzigen durchgehenden Idee hätte reihen wollen!"
"Es war im Ganzen, fuhr Goethe fort, nicht meine Art, als Poet nach Verkörperung von etwas Ab¬ stractem zu streben. Ich empfing in meinem Innern Eindrücke, und zwar Eindrücke sinnlicher, lebens¬
Leben ſchwerer, als billig. — Ei! ſo habt doch endlich einmal die Courage, Euch den Eindrücken hin¬ zugeben, Euch ergötzen zu laſſen, Euch rühren zu laſſen, Euch erheben zu laſſen, ja Euch belehren und zu etwas Großem entflammen und ermuthigen zu laſſen; aber denkt nur nicht immer, es wäre Alles eitel, wenn es nicht irgend abſtracter Gedanke und Idee wäre!“
„Da kommen ſie und fragen: welche Idee ich in meinem Fauſt zu verkörpern geſucht? — Als ob ich das ſelber wüßte und ausſprechen könnte! — Vom Himmel durch die Welt zur Hölle, das wäre zur Noth etwas; aber das iſt keine Idee, ſondern Gang der Handlung. Und ferner, daß der Teufel die Wette verliert, und daß ein aus ſchweren Verirrungen immer¬ fort zum Beſſeren aufſtrebender Menſch zu erlöſen ſey, das iſt zwar ein wirkſamer, Manches erklärender guter Gedanke, aber es iſt keine Idee, die dem Gan¬ zen und jeder einzelnen Scene im Beſondern zu Grunde liege. Es hätte auch in der That ein ſchönes Ding werden müſſen, wenn ich ein ſo reiches, buntes und ſo höchſt mannigfaltiges Leben, wie ich es im Fauſt zur Anſchauung gebracht, auf die magere Schnur einer einzigen durchgehenden Idee hätte reihen wollen!“
„Es war im Ganzen, fuhr Goethe fort, nicht meine Art, als Poet nach Verkörperung von etwas Ab¬ ſtractem zu ſtreben. Ich empfing in meinem Innern Eindrücke, und zwar Eindrücke ſinnlicher, lebens¬
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Leben ſchwerer, als billig. — Ei! ſo habt doch endlich
einmal die Courage, Euch den Eindrücken hin¬
zugeben, Euch ergötzen zu laſſen, Euch rühren zu
laſſen, Euch erheben zu laſſen, ja Euch belehren und
zu etwas Großem entflammen und ermuthigen zu laſſen;
aber denkt nur nicht immer, es wäre Alles eitel, wenn
es nicht irgend abſtracter Gedanke und Idee wäre!“
„Da kommen ſie und fragen: welche Idee ich in
meinem Fauſt zu verkörpern geſucht? — Als ob ich
das ſelber wüßte und ausſprechen könnte! — Vom
Himmel durch die Welt zur Hölle, das wäre
zur Noth etwas; aber das iſt keine Idee, ſondern Gang
der Handlung. Und ferner, daß der Teufel die Wette
verliert, und daß ein aus ſchweren Verirrungen immer¬
fort zum Beſſeren aufſtrebender Menſch zu erlöſen
ſey, das iſt zwar ein wirkſamer, Manches erklärender
guter Gedanke, aber es iſt keine Idee, die dem Gan¬
zen und jeder einzelnen Scene im Beſondern zu
Grunde liege. Es hätte auch in der That ein ſchönes
Ding werden müſſen, wenn ich ein ſo reiches, buntes
und ſo höchſt mannigfaltiges Leben, wie ich es im
Fauſt zur Anſchauung gebracht, auf die magere Schnur
einer einzigen durchgehenden Idee hätte reihen wollen!“
„Es war im Ganzen, fuhr Goethe fort, nicht meine
Art, als Poet nach Verkörperung von etwas Ab¬
ſtractem zu ſtreben. Ich empfing in meinem Innern
Eindrücke, und zwar Eindrücke ſinnlicher, lebens¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/194>, abgerufen am 23.11.2024.
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