und dieses waren meine eigentlichen Helden, meine mit Bewußtseyn handelnden höheren Kräfte, während der Tell und Geßler zwar auch gelegentlich handelnd auf¬ traten, aber im Ganzen mehr Figuren passiver Natur waren."
"Von diesem schönen Gegenstande war ich ganz voll, und ich summte dazu schon gelegentlich meine Hexameter. Ich sah den See im ruhigen Mondschein, erleuchtete Nebel in den Tiefen der Gebirge. Ich sah ihn im Glanz der lieblichsten Morgensonne, ein Jauch¬ zen und Leben in Wald und Wiesen. Dann stellte ich einen Sturm dar, einen Gewittersturm, der sich aus den Schluchten auf den See wirft. Auch fehlte es nicht an nächtlicher Stille und an heimlichen Zusam¬ menkünften über Brücken und Stegen."
"Von allem diesen erzählte ich Schillern, in dessen Seele sich meine Landschaften und meine handelnden Figuren zu einem Drama bildeten. Und da ich andere Dinge zu thun hatte und die Ausführung meines Vor¬ satzes sich immer weiter verschob, so trat ich meinen Gegenstand Schillern völlig ab, der denn darauf sein bewundernswürdiges Gedicht schrieb."
Wir freuten uns dieser Mittheilung, die Allen interessant zu hören war. Ich machte bemerklich, daß es mir vorkomme, als ob die in Terzinen geschriebene prächtige Beschreibung des Sonnenaufgangs in der ersten Scene vom zweiten Theile des Faust aus der
und dieſes waren meine eigentlichen Helden, meine mit Bewußtſeyn handelnden höheren Kräfte, während der Tell und Geßler zwar auch gelegentlich handelnd auf¬ traten, aber im Ganzen mehr Figuren paſſiver Natur waren.“
„Von dieſem ſchönen Gegenſtande war ich ganz voll, und ich ſummte dazu ſchon gelegentlich meine Hexameter. Ich ſah den See im ruhigen Mondſchein, erleuchtete Nebel in den Tiefen der Gebirge. Ich ſah ihn im Glanz der lieblichſten Morgenſonne, ein Jauch¬ zen und Leben in Wald und Wieſen. Dann ſtellte ich einen Sturm dar, einen Gewitterſturm, der ſich aus den Schluchten auf den See wirft. Auch fehlte es nicht an nächtlicher Stille und an heimlichen Zuſam¬ menkünften über Brücken und Stegen.“
„Von allem dieſen erzählte ich Schillern, in deſſen Seele ſich meine Landſchaften und meine handelnden Figuren zu einem Drama bildeten. Und da ich andere Dinge zu thun hatte und die Ausführung meines Vor¬ ſatzes ſich immer weiter verſchob, ſo trat ich meinen Gegenſtand Schillern völlig ab, der denn darauf ſein bewundernswürdiges Gedicht ſchrieb.“
Wir freuten uns dieſer Mittheilung, die Allen intereſſant zu hören war. Ich machte bemerklich, daß es mir vorkomme, als ob die in Terzinen geſchriebene prächtige Beſchreibung des Sonnenaufgangs in der erſten Scene vom zweiten Theile des Fauſt aus der
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und dieſes waren meine eigentlichen Helden, meine mit
Bewußtſeyn handelnden höheren Kräfte, während der
Tell und Geßler zwar auch gelegentlich handelnd auf¬
traten, aber im Ganzen mehr Figuren paſſiver Natur
waren.“
„Von dieſem ſchönen Gegenſtande war ich ganz
voll, und ich ſummte dazu ſchon gelegentlich meine
Hexameter. Ich ſah den See im ruhigen Mondſchein,
erleuchtete Nebel in den Tiefen der Gebirge. Ich ſah
ihn im Glanz der lieblichſten Morgenſonne, ein Jauch¬
zen und Leben in Wald und Wieſen. Dann ſtellte ich
einen Sturm dar, einen Gewitterſturm, der ſich aus
den Schluchten auf den See wirft. Auch fehlte es
nicht an nächtlicher Stille und an heimlichen Zuſam¬
menkünften über Brücken und Stegen.“
„Von allem dieſen erzählte ich Schillern, in deſſen
Seele ſich meine Landſchaften und meine handelnden
Figuren zu einem Drama bildeten. Und da ich andere
Dinge zu thun hatte und die Ausführung meines Vor¬
ſatzes ſich immer weiter verſchob, ſo trat ich meinen
Gegenſtand Schillern völlig ab, der denn darauf ſein
bewundernswürdiges Gedicht ſchrieb.“
Wir freuten uns dieſer Mittheilung, die Allen
intereſſant zu hören war. Ich machte bemerklich, daß
es mir vorkomme, als ob die in Terzinen geſchriebene
prächtige Beſchreibung des Sonnenaufgangs in der
erſten Scene vom zweiten Theile des Fauſt aus der
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/192>, abgerufen am 23.11.2024.
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