schreibern, und in gleich hohem Grade in den auf uns gekommenen Werken der bildenden Kunst, so muß man sich wohl überzeugen, daß solche Eigenschaften nicht bloß einzelnen Personen anhafteten, sondern daß sie der Nation und der ganzen Zeit angehörten und in ihr in Cours waren."
"Nehmen Sie Burns. Wodurch ist er groß, als daß die alten Lieder seiner Vorfahren im Munde des Volkes lebten, daß sie ihm, so zu sagen, bei der Wiege gesungen wurden, daß er als Knabe unter ihnen heran¬ wuchs, und die hohe Vortrefflichkeit dieser Muster sich ihm so einlebte, daß er darin eine lebendige Basis hatte, worauf er weiter schreiten konnte. -- Und ferner, wodurch ist er groß, als daß seine eigenen Lieder in seinem Volke sogleich empfängliche Ohren fanden, daß sie ihm alsobald im Felde von Schnittern und Binde¬ rinnen entgegen klangen und er in der Schenke von heiteren Gesellen damit begrüßt wurde. Da konnte es freilich etwas werden!"
"Wie ärmlich sieht es dagegen bei uns Deutschen aus! -- Was lebte denn in meiner Jugend von unsern nicht weniger bedeutenden alten Liedern im eigentlichen Volke? -- Herder und seine Nachfolger mußten erst anfangen, sie zu sammeln und der Vergessenheit zu entreißen; dann hatte man sie doch wenigstens gedruckt in Bibliotheken. -- Und später, was haben nicht Bür¬ ger und Voß für Lieder gedichtet! Wer wollte sagen,
ſchreibern, und in gleich hohem Grade in den auf uns gekommenen Werken der bildenden Kunſt, ſo muß man ſich wohl überzeugen, daß ſolche Eigenſchaften nicht bloß einzelnen Perſonen anhafteten, ſondern daß ſie der Nation und der ganzen Zeit angehörten und in ihr in Cours waren.“
„Nehmen Sie Burns. Wodurch iſt er groß, als daß die alten Lieder ſeiner Vorfahren im Munde des Volkes lebten, daß ſie ihm, ſo zu ſagen, bei der Wiege geſungen wurden, daß er als Knabe unter ihnen heran¬ wuchs, und die hohe Vortrefflichkeit dieſer Muſter ſich ihm ſo einlebte, daß er darin eine lebendige Baſis hatte, worauf er weiter ſchreiten konnte. — Und ferner, wodurch iſt er groß, als daß ſeine eigenen Lieder in ſeinem Volke ſogleich empfängliche Ohren fanden, daß ſie ihm alſobald im Felde von Schnittern und Binde¬ rinnen entgegen klangen und er in der Schenke von heiteren Geſellen damit begrüßt wurde. Da konnte es freilich etwas werden!“
„Wie ärmlich ſieht es dagegen bei uns Deutſchen aus! — Was lebte denn in meiner Jugend von unſern nicht weniger bedeutenden alten Liedern im eigentlichen Volke? — Herder und ſeine Nachfolger mußten erſt anfangen, ſie zu ſammeln und der Vergeſſenheit zu entreißen; dann hatte man ſie doch wenigſtens gedruckt in Bibliotheken. — Und ſpäter, was haben nicht Bür¬ ger und Voß für Lieder gedichtet! Wer wollte ſagen,
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ſchreibern, und in gleich hohem Grade in den auf uns
gekommenen Werken der bildenden Kunſt, ſo muß man
ſich wohl überzeugen, daß ſolche Eigenſchaften nicht
bloß einzelnen Perſonen anhafteten, ſondern daß ſie der
Nation und der ganzen Zeit angehörten und in ihr in
Cours waren.“
„Nehmen Sie Burns. Wodurch iſt er groß, als
daß die alten Lieder ſeiner Vorfahren im Munde des
Volkes lebten, daß ſie ihm, ſo zu ſagen, bei der Wiege
geſungen wurden, daß er als Knabe unter ihnen heran¬
wuchs, und die hohe Vortrefflichkeit dieſer Muſter ſich
ihm ſo einlebte, daß er darin eine lebendige Baſis
hatte, worauf er weiter ſchreiten konnte. — Und ferner,
wodurch iſt er groß, als daß ſeine eigenen Lieder in
ſeinem Volke ſogleich empfängliche Ohren fanden, daß
ſie ihm alſobald im Felde von Schnittern und Binde¬
rinnen entgegen klangen und er in der Schenke von
heiteren Geſellen damit begrüßt wurde. Da konnte
es freilich etwas werden!“
„Wie ärmlich ſieht es dagegen bei uns Deutſchen
aus! — Was lebte denn in meiner Jugend von unſern
nicht weniger bedeutenden alten Liedern im eigentlichen
Volke? — Herder und ſeine Nachfolger mußten erſt
anfangen, ſie zu ſammeln und der Vergeſſenheit zu
entreißen; dann hatte man ſie doch wenigſtens gedruckt
in Bibliotheken. — Und ſpäter, was haben nicht Bür¬
ger und Voß für Lieder gedichtet! Wer wollte ſagen,
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/187>, abgerufen am 24.11.2024.
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