Die höchst gelungene Uebersetzung der dramatischen Werke Goethe's von Stapfer hat in dem zu Paris er¬ scheinenden Globe des vorigen Jahres durch Herrn J. J. Ampere eine Beurtheilung gefunden, die nicht weniger vortrefflich ist, und die Göthen so angenehm berührte, daß er sehr oft darauf zurückkam und sich sehr oft mit großer Anerkennung darüber ausließ.
"Der Standpunkt des Herrn Ampere, sagte er, ist ein sehr hoher. Wenn deutsche Recensenten bei ähn¬ lichen Anlässen gern von der Philosophie ausgehen und bei Betrachtung und Besprechung eines dichterischen Erzeugnisses auf eine Weise verfahren, daß dasjenige, was sie zu dessen Aufklärung beibringen, nur Philo¬ sophen ihrer eigenen Schule zugänglich, für andere Leute aber weit dunkler ist als das Werk, das sie er¬ läutern wollen, selber, so benimmt sich dagegen Herr Ampere durchaus praktisch und menschlich. -- Als Einer, der das Metier aus dem Grunde kennt, zeigt er die Verwandtschaft des Erzeugten mit dem Erzeuger, und beurtheilt die verschiedenen poetischen Productionen als verschiedene Früchte verschiedener Lebensepochen des Dichters."
"Er hat den abwechselnden Gang meiner irdischen Laufbahn und meiner Seelenzustände im Tiefsten studirt und sogar die Fähigkeit gehabt, das zu sehen, was ich nicht ausgesprochen und was, so zu sagen, nur zwischen
Donnerſtag, den 3. Mai 1827.
Die höchſt gelungene Ueberſetzung der dramatiſchen Werke Goethe's von Stapfer hat in dem zu Paris er¬ ſcheinenden Globe des vorigen Jahres durch Herrn J. J. Ampère eine Beurtheilung gefunden, die nicht weniger vortrefflich iſt, und die Göthen ſo angenehm berührte, daß er ſehr oft darauf zurückkam und ſich ſehr oft mit großer Anerkennung darüber ausließ.
„Der Standpunkt des Herrn Ampère, ſagte er, iſt ein ſehr hoher. Wenn deutſche Recenſenten bei ähn¬ lichen Anläſſen gern von der Philoſophie ausgehen und bei Betrachtung und Beſprechung eines dichteriſchen Erzeugniſſes auf eine Weiſe verfahren, daß dasjenige, was ſie zu deſſen Aufklärung beibringen, nur Philo¬ ſophen ihrer eigenen Schule zugänglich, für andere Leute aber weit dunkler iſt als das Werk, das ſie er¬ läutern wollen, ſelber, ſo benimmt ſich dagegen Herr Ampère durchaus praktiſch und menſchlich. — Als Einer, der das Metier aus dem Grunde kennt, zeigt er die Verwandtſchaft des Erzeugten mit dem Erzeuger, und beurtheilt die verſchiedenen poetiſchen Productionen als verſchiedene Früchte verſchiedener Lebensepochen des Dichters.“
„Er hat den abwechſelnden Gang meiner irdiſchen Laufbahn und meiner Seelenzuſtände im Tiefſten ſtudirt und ſogar die Fähigkeit gehabt, das zu ſehen, was ich nicht ausgeſprochen und was, ſo zu ſagen, nur zwiſchen
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[159/0181]
Donnerſtag, den 3. Mai 1827.
Die höchſt gelungene Ueberſetzung der dramatiſchen
Werke Goethe's von Stapfer hat in dem zu Paris er¬
ſcheinenden Globe des vorigen Jahres durch Herrn
J. J. Amp è re eine Beurtheilung gefunden, die nicht
weniger vortrefflich iſt, und die Göthen ſo angenehm
berührte, daß er ſehr oft darauf zurückkam und ſich
ſehr oft mit großer Anerkennung darüber ausließ.
„Der Standpunkt des Herrn Ampère, ſagte er, iſt
ein ſehr hoher. Wenn deutſche Recenſenten bei ähn¬
lichen Anläſſen gern von der Philoſophie ausgehen und
bei Betrachtung und Beſprechung eines dichteriſchen
Erzeugniſſes auf eine Weiſe verfahren, daß dasjenige,
was ſie zu deſſen Aufklärung beibringen, nur Philo¬
ſophen ihrer eigenen Schule zugänglich, für andere
Leute aber weit dunkler iſt als das Werk, das ſie er¬
läutern wollen, ſelber, ſo benimmt ſich dagegen Herr
Ampère durchaus praktiſch und menſchlich. — Als Einer,
der das Metier aus dem Grunde kennt, zeigt er die
Verwandtſchaft des Erzeugten mit dem Erzeuger, und
beurtheilt die verſchiedenen poetiſchen Productionen als
verſchiedene Früchte verſchiedener Lebensepochen des
Dichters.“
„Er hat den abwechſelnden Gang meiner irdiſchen
Laufbahn und meiner Seelenzuſtände im Tiefſten ſtudirt
und ſogar die Fähigkeit gehabt, das zu ſehen, was ich
nicht ausgeſprochen und was, ſo zu ſagen, nur zwiſchen
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/181>, abgerufen am 28.11.2024.
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