maligen Rede an, und so wie die Lady zum höchsten Nachdruck ihrer Worte sagen mußte: "Ich habe Kinder aufgesäugt", so mußte auch eben diesem Zweck Macduff sagen: "Er hat keine Kinder!"
"Ueberall, fuhr Goethe fort, sollen wir es mit dem Pinselstriche eines Malers, oder dem Worte eines Dichters nicht so genau und kleinlich nehmen; vielmehr sollen wir ein Kunstwerk, das mit kühnem und freiem Geiste gemacht worden, auch wo möglich mit eben sol¬ chem Geiste wieder anschauen und genießen."
"So wäre es thöricht, wenn man aus den Worten des Macbeth:
Gebier mir keine Töchter etc.
den Schluß ziehen wollte, die Lady sey ein ganz ju¬ gendliches Wesen, das noch nicht geboren habe. Und ebenso thöricht wäre es, wenn man weiter gehen und verlangen wollte, die Lady müsse auf der Bühne als eine solche sehr jugendliche Person dargestellt werden."
"Shakspeare läßt den Macbeth diese Worte keines¬ wegs sagen, um damit die Jugend der Lady zu be¬ weisen, sondern diese Worte, wie die vorhin angeführten der Lady und des Macduff, sind bloß rethorischer Zwecke wegen da, und wollen weiter nichts beweisen, als daß der Dichter seine Personen jedesmal das reden läßt, was eben an dieser Stelle gehörig, wirksam und gut ist, ohne sich viel und ängstlich zu bekümmern und
maligen Rede an, und ſo wie die Lady zum höchſten Nachdruck ihrer Worte ſagen mußte: „Ich habe Kinder aufgeſäugt“, ſo mußte auch eben dieſem Zweck Macduff ſagen: „Er hat keine Kinder!“
„Ueberall, fuhr Goethe fort, ſollen wir es mit dem Pinſelſtriche eines Malers, oder dem Worte eines Dichters nicht ſo genau und kleinlich nehmen; vielmehr ſollen wir ein Kunſtwerk, das mit kühnem und freiem Geiſte gemacht worden, auch wo möglich mit eben ſol¬ chem Geiſte wieder anſchauen und genießen.“
„So wäre es thöricht, wenn man aus den Worten des Macbeth:
Gebier mir keine Töchter ꝛc.
den Schluß ziehen wollte, die Lady ſey ein ganz ju¬ gendliches Weſen, das noch nicht geboren habe. Und ebenſo thöricht wäre es, wenn man weiter gehen und verlangen wollte, die Lady müſſe auf der Bühne als eine ſolche ſehr jugendliche Perſon dargeſtellt werden.“
„Shakſpeare läßt den Macbeth dieſe Worte keines¬ wegs ſagen, um damit die Jugend der Lady zu be¬ weiſen, ſondern dieſe Worte, wie die vorhin angeführten der Lady und des Macduff, ſind bloß rethoriſcher Zwecke wegen da, und wollen weiter nichts beweiſen, als daß der Dichter ſeine Perſonen jedesmal das reden läßt, was eben an dieſer Stelle gehörig, wirkſam und gut iſt, ohne ſich viel und ängſtlich zu bekümmern und
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maligen Rede an, und ſo wie die Lady zum höchſten
Nachdruck ihrer Worte ſagen mußte: „Ich habe Kinder
aufgeſäugt“, ſo mußte auch eben dieſem Zweck
Macduff ſagen: „Er hat keine Kinder!“
„Ueberall, fuhr Goethe fort, ſollen wir es mit dem
Pinſelſtriche eines Malers, oder dem Worte eines
Dichters nicht ſo genau und kleinlich nehmen; vielmehr
ſollen wir ein Kunſtwerk, das mit kühnem und freiem
Geiſte gemacht worden, auch wo möglich mit eben ſol¬
chem Geiſte wieder anſchauen und genießen.“
„So wäre es thöricht, wenn man aus den Worten
des Macbeth:
Gebier mir keine Töchter ꝛc.
den Schluß ziehen wollte, die Lady ſey ein ganz ju¬
gendliches Weſen, das noch nicht geboren habe. Und
ebenſo thöricht wäre es, wenn man weiter gehen und
verlangen wollte, die Lady müſſe auf der Bühne als
eine ſolche ſehr jugendliche Perſon dargeſtellt werden.“
„Shakſpeare läßt den Macbeth dieſe Worte keines¬
wegs ſagen, um damit die Jugend der Lady zu be¬
weiſen, ſondern dieſe Worte, wie die vorhin angeführten
der Lady und des Macduff, ſind bloß rethoriſcher Zwecke
wegen da, und wollen weiter nichts beweiſen, als daß
der Dichter ſeine Perſonen jedesmal das reden läßt,
was eben an dieſer Stelle gehörig, wirkſam und
gut iſt, ohne ſich viel und ängſtlich zu bekümmern und
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/178>, abgerufen am 25.11.2024.
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