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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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schön nennen, wie uns vorhin einige sehr starke vor
den Frachtwagen der Brabanter Fuhrleute begegneten?

"Allerdings! erwiederte Goethe; und warum nicht?
Ein Maler fände an dem stark ausgeprägten Charakter,
an dem mächtigen Ausdruck von Knochen, Sehnen und
Muskeln eines solchen Thieres wahrscheinlich noch ein
weit mannigfaltigeres Spiel von allerlei Schönheiten,
als an dem milderen, egaleren Charakter eines zier¬
lichen Reitpferdes."

"Die Hauptsache ist immer, fuhr Goethe fort, daß
die Race rein und der Mensch nicht seine verstümmelnde
Hand angelegt hat. Ein Pferd, dem Schweif und
Mähne abgeschnitten, ein Hund mit gestutzten Ohren,
ein Baum, dem man die mächtigsten Zweige genommen
und das Uebrige kugelförmig geschnitzelt hat, und über
Alles eine Jungfrau, deren Leib von Jugend auf durch
Schnürbrüste verdorben und entstellt worden, alles die¬
ses sind Dinge, von denen sich der gute Geschmack ab¬
wendet und die bloß in dem Schönheits-Katechismus
der Philister ihre Stelle haben."

Unter diesen und ähnlichen Gesprächen waren wir
wieder zurückgekehrt. Wir machten vor Tisch noch einige
Gänge im Hausgarten. Das Wetter war sehr schön;
die Frühlingssonne fing an mächtig zu werden und an
Büschen und Hecken schon allerlei Laub und Blüthen
hervorzulocken. Goethe war voller Gedanken und Hoff¬
nungen eines genußreichen Sommers.

ſchön nennen, wie uns vorhin einige ſehr ſtarke vor
den Frachtwagen der Brabanter Fuhrleute begegneten?

„Allerdings! erwiederte Goethe; und warum nicht?
Ein Maler fände an dem ſtark ausgeprägten Charakter,
an dem mächtigen Ausdruck von Knochen, Sehnen und
Muskeln eines ſolchen Thieres wahrſcheinlich noch ein
weit mannigfaltigeres Spiel von allerlei Schönheiten,
als an dem milderen, egaleren Charakter eines zier¬
lichen Reitpferdes.“

„Die Hauptſache iſt immer, fuhr Goethe fort, daß
die Raçe rein und der Menſch nicht ſeine verſtümmelnde
Hand angelegt hat. Ein Pferd, dem Schweif und
Mähne abgeſchnitten, ein Hund mit geſtutzten Ohren,
ein Baum, dem man die mächtigſten Zweige genommen
und das Uebrige kugelförmig geſchnitzelt hat, und über
Alles eine Jungfrau, deren Leib von Jugend auf durch
Schnürbrüſte verdorben und entſtellt worden, alles die¬
ſes ſind Dinge, von denen ſich der gute Geſchmack ab¬
wendet und die bloß in dem Schönheits-Katechismus
der Philiſter ihre Stelle haben.“

Unter dieſen und ähnlichen Geſprächen waren wir
wieder zurückgekehrt. Wir machten vor Tiſch noch einige
Gänge im Hausgarten. Das Wetter war ſehr ſchön;
die Frühlingsſonne fing an mächtig zu werden und an
Büſchen und Hecken ſchon allerlei Laub und Blüthen
hervorzulocken. Goethe war voller Gedanken und Hoff¬
nungen eines genußreichen Sommers.

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[150/0172] ſchön nennen, wie uns vorhin einige ſehr ſtarke vor den Frachtwagen der Brabanter Fuhrleute begegneten? „Allerdings! erwiederte Goethe; und warum nicht? Ein Maler fände an dem ſtark ausgeprägten Charakter, an dem mächtigen Ausdruck von Knochen, Sehnen und Muskeln eines ſolchen Thieres wahrſcheinlich noch ein weit mannigfaltigeres Spiel von allerlei Schönheiten, als an dem milderen, egaleren Charakter eines zier¬ lichen Reitpferdes.“ „Die Hauptſache iſt immer, fuhr Goethe fort, daß die Raçe rein und der Menſch nicht ſeine verſtümmelnde Hand angelegt hat. Ein Pferd, dem Schweif und Mähne abgeſchnitten, ein Hund mit geſtutzten Ohren, ein Baum, dem man die mächtigſten Zweige genommen und das Uebrige kugelförmig geſchnitzelt hat, und über Alles eine Jungfrau, deren Leib von Jugend auf durch Schnürbrüſte verdorben und entſtellt worden, alles die¬ ſes ſind Dinge, von denen ſich der gute Geſchmack ab¬ wendet und die bloß in dem Schönheits-Katechismus der Philiſter ihre Stelle haben.“ Unter dieſen und ähnlichen Geſprächen waren wir wieder zurückgekehrt. Wir machten vor Tiſch noch einige Gänge im Hausgarten. Das Wetter war ſehr ſchön; die Frühlingsſonne fing an mächtig zu werden und an Büſchen und Hecken ſchon allerlei Laub und Blüthen hervorzulocken. Goethe war voller Gedanken und Hoff¬ nungen eines genußreichen Sommers.

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/172>, abgerufen am 25.11.2024.