dringt, kann erreichen, daß die Seele seiner Stücke zur Seele des Volkes wird. Ich dächte, das wäre etwas, das wohl der Mühe werth wäre. Von Cor¬ neille ging eine Wirkung aus, die fähig war, Helden¬ seelen zu bilden. Das war etwas für Napoleon, der ein Heldenvolk nöthig hatte; weßhalb er denn von Corneille sagte, daß, wenn er noch lebte, er ihn zum Fürsten machen würde. Ein dramatischer Dichter, der seine Bestimmung kennt, soll daher unablässig an seiner höheren Entwickelung arbeiten, damit die Wirkung, die von ihm auf das Volk ausgeht, eine wohlthätige und edle sey."
"Man studire nicht die Mitgeborenen und Mit¬ strebenden, sondern große Menschen der Vorzeit, deren Werke seit Jahrhunderten gleichen Werth und gleiches Ansehen behalten haben. Ein wirklich hochbegabter Mensch wird das Bedürfniß dazu ohnedieß in sich fühlen, und gerade dieses Bedürfniß des Umgangs mit großen Vorgängern ist das Zeichen einer höheren An¬ lage. Man studire Moliere, man studire Shakspeare, aber vor allen Dingen die alten Griechen und immer die Griechen."
Für hochbegabte Naturen, bemerkte ich, mag das Studium der Schriften des Alterthums allerdings ganz unschätzbar seyn; allein im Allgemeinen scheint es auf den persönlichen Charakter wenig Einfluß auszuüben. Wenn das wäre, so müßten ja alle Philologen und
dringt, kann erreichen, daß die Seele ſeiner Stücke zur Seele des Volkes wird. Ich dächte, das wäre etwas, das wohl der Mühe werth wäre. Von Cor¬ neille ging eine Wirkung aus, die fähig war, Helden¬ ſeelen zu bilden. Das war etwas für Napoleon, der ein Heldenvolk nöthig hatte; weßhalb er denn von Corneille ſagte, daß, wenn er noch lebte, er ihn zum Fürſten machen würde. Ein dramatiſcher Dichter, der ſeine Beſtimmung kennt, ſoll daher unabläſſig an ſeiner höheren Entwickelung arbeiten, damit die Wirkung, die von ihm auf das Volk ausgeht, eine wohlthätige und edle ſey.“
„Man ſtudire nicht die Mitgeborenen und Mit¬ ſtrebenden, ſondern große Menſchen der Vorzeit, deren Werke ſeit Jahrhunderten gleichen Werth und gleiches Anſehen behalten haben. Ein wirklich hochbegabter Menſch wird das Bedürfniß dazu ohnedieß in ſich fühlen, und gerade dieſes Bedürfniß des Umgangs mit großen Vorgängern iſt das Zeichen einer höheren An¬ lage. Man ſtudire Molière, man ſtudire Shakſpeare, aber vor allen Dingen die alten Griechen und immer die Griechen.“
Für hochbegabte Naturen, bemerkte ich, mag das Studium der Schriften des Alterthums allerdings ganz unſchätzbar ſeyn; allein im Allgemeinen ſcheint es auf den perſönlichen Charakter wenig Einfluß auszuüben. Wenn das wäre, ſo müßten ja alle Philologen und
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dringt, kann erreichen, daß die Seele ſeiner Stücke
zur Seele des Volkes wird. Ich dächte, das wäre
etwas, das wohl der Mühe werth wäre. Von Cor¬
neille ging eine Wirkung aus, die fähig war, Helden¬
ſeelen zu bilden. Das war etwas für Napoleon, der
ein Heldenvolk nöthig hatte; weßhalb er denn von
Corneille ſagte, daß, wenn er noch lebte, er ihn zum
Fürſten machen würde. Ein dramatiſcher Dichter, der
ſeine Beſtimmung kennt, ſoll daher unabläſſig an ſeiner
höheren Entwickelung arbeiten, damit die Wirkung, die
von ihm auf das Volk ausgeht, eine wohlthätige und
edle ſey.“
„Man ſtudire nicht die Mitgeborenen und Mit¬
ſtrebenden, ſondern große Menſchen der Vorzeit, deren
Werke ſeit Jahrhunderten gleichen Werth und gleiches
Anſehen behalten haben. Ein wirklich hochbegabter
Menſch wird das Bedürfniß dazu ohnedieß in ſich
fühlen, und gerade dieſes Bedürfniß des Umgangs mit
großen Vorgängern iſt das Zeichen einer höheren An¬
lage. Man ſtudire Molière, man ſtudire Shakſpeare,
aber vor allen Dingen die alten Griechen und immer
die Griechen.“
Für hochbegabte Naturen, bemerkte ich, mag das
Studium der Schriften des Alterthums allerdings ganz
unſchätzbar ſeyn; allein im Allgemeinen ſcheint es auf
den perſönlichen Charakter wenig Einfluß auszuüben.
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/166>, abgerufen am 25.11.2024.
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