Herr ihrer Rolle sind und bei jedem neuen Satze nach dem Souffleur horchen müssen, wodurch ihr Spiel sogleich null ist, und sogleich ohne alle Kraft und Leben. Wenn bei einem Stück, wie meine Iphigenie, die Schauspieler in ihren Rollen nicht durchaus fest sind, so ist es besser, die Aufführung zu unterlassen. Denn das Stück kann bloß Erfolg haben, wenn Alles sicher, rasch und lebendig geht."
"Nun, nun! -- Es ist mir lieb, daß es mit Krü¬ gern so gut abgelaufen. Zelter hatte ihn mir empfohlen, und es wäre mir fatal gewesen, wenn es mit ihm nicht so gut gegangen wäre, wie es ist. Ich werde ihm auch meinerseits einen kleinen Spaß machen und ihm ein hübsch eingebundenes Exemplar der Iphigenie zum Andenken verehren, mit einigen eingeschriebenen Versen in Bezug auf sein Spiel."
Das Gespräch lenkte sich auf die Antigone von Sophokles, auf die darin waltende hohe Sittlichkeit, und endlich auf die Frage: wie das Sittliche in die Welt gekommen?
"Durch Gott selber, erwiederte Goethe, wie alles andere Gute. Es ist kein Product menschlicher Reflec¬ tion, sondern es ist angeschaffene und angeborene schöne Natur. Es ist mehr oder weniger den Menschen im Allgemeinen angeschaffen, im hohen Grade aber einzel¬ nen, ganz vorzüglich begabten Gemüthern. Diese haben durch große Thaten oder Lehren ihr göttliches Innere
Herr ihrer Rolle ſind und bei jedem neuen Satze nach dem Souffleur horchen müſſen, wodurch ihr Spiel ſogleich null iſt, und ſogleich ohne alle Kraft und Leben. Wenn bei einem Stück, wie meine Iphigenie, die Schauſpieler in ihren Rollen nicht durchaus feſt ſind, ſo iſt es beſſer, die Aufführung zu unterlaſſen. Denn das Stück kann bloß Erfolg haben, wenn Alles ſicher, raſch und lebendig geht.“
„Nun, nun! — Es iſt mir lieb, daß es mit Krü¬ gern ſo gut abgelaufen. Zelter hatte ihn mir empfohlen, und es wäre mir fatal geweſen, wenn es mit ihm nicht ſo gut gegangen wäre, wie es iſt. Ich werde ihm auch meinerſeits einen kleinen Spaß machen und ihm ein hübſch eingebundenes Exemplar der Iphigenie zum Andenken verehren, mit einigen eingeſchriebenen Verſen in Bezug auf ſein Spiel.“
Das Geſpräch lenkte ſich auf die Antigone von Sophokles, auf die darin waltende hohe Sittlichkeit, und endlich auf die Frage: wie das Sittliche in die Welt gekommen?
„Durch Gott ſelber, erwiederte Goethe, wie alles andere Gute. Es iſt kein Product menſchlicher Reflec¬ tion, ſondern es iſt angeſchaffene und angeborene ſchöne Natur. Es iſt mehr oder weniger den Menſchen im Allgemeinen angeſchaffen, im hohen Grade aber einzel¬ nen, ganz vorzüglich begabten Gemüthern. Dieſe haben durch große Thaten oder Lehren ihr göttliches Innere
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Herr ihrer Rolle ſind und bei jedem neuen Satze nach
dem Souffleur horchen müſſen, wodurch ihr Spiel ſogleich
null iſt, und ſogleich ohne alle Kraft und Leben. Wenn
bei einem Stück, wie meine Iphigenie, die Schauſpieler
in ihren Rollen nicht durchaus feſt ſind, ſo iſt es
beſſer, die Aufführung zu unterlaſſen. Denn das Stück
kann bloß Erfolg haben, wenn Alles ſicher, raſch und
lebendig geht.“
„Nun, nun! — Es iſt mir lieb, daß es mit Krü¬
gern ſo gut abgelaufen. Zelter hatte ihn mir empfohlen,
und es wäre mir fatal geweſen, wenn es mit ihm nicht
ſo gut gegangen wäre, wie es iſt. Ich werde ihm auch
meinerſeits einen kleinen Spaß machen und ihm ein
hübſch eingebundenes Exemplar der Iphigenie zum
Andenken verehren, mit einigen eingeſchriebenen Verſen
in Bezug auf ſein Spiel.“
Das Geſpräch lenkte ſich auf die Antigone von
Sophokles, auf die darin waltende hohe Sittlichkeit,
und endlich auf die Frage: wie das Sittliche in die
Welt gekommen?
„Durch Gott ſelber, erwiederte Goethe, wie alles
andere Gute. Es iſt kein Product menſchlicher Reflec¬
tion, ſondern es iſt angeſchaffene und angeborene ſchöne
Natur. Es iſt mehr oder weniger den Menſchen im
Allgemeinen angeſchaffen, im hohen Grade aber einzel¬
nen, ganz vorzüglich begabten Gemüthern. Dieſe haben
durch große Thaten oder Lehren ihr göttliches Innere
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/163>, abgerufen am 25.11.2024.
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