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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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einem schlechten Recensenten, dem jedes Organ für die
Verehrung des Vortrefflichen mangelt, und der über
eine tüchtige Natur und einen großen Charakter hin¬
geht, als wäre es Spreu und Stoppel."

Den Shakspeare und Calderon dagegen, versetzte
ich, behandelt er gerecht, und sogar mit entschiedener
Neigung.

"Beide, erwiederte Göthe, sind freilich der Art, daß
man über sie nicht Gutes genug sagen kann, wiewohl
ich mich auch nicht wundern würde, wenn Schlegel sie
gleichfalls ganz schmählich herabgesetzt hätte. So ist
er auch gegen Aeschylus und Sophokles gerecht; allein
dieß scheint nicht sowohl zu geschehen, weil er von
ihrem ganz außerordentlichen Werthe lebendig durch¬
drungen wäre, als weil es bei den Philologen herkömm¬
lich ist, Beide sehr hoch zu stellen. Denn im Grunde
reicht doch Schlegel's eigenes Persönchen nicht hin, so
hohe Naturen zu begreifen und gehörig zu schätzen.
Wäre dieß, so müßte er auch gegen Euripides gerecht
seyn und auch gegen diesen ganz anders zu Werke ge¬
hen, als er gethan. Von diesem weiß er aber, daß
die Philologen ihn nicht eben sonderlich hoch halten,
und er verspürt daher kein geringes Behagen, daß es
ihm, auf so große Autorität hin, vergönnt ist, über
diesen großen Alten ganz schändlich herzufallen und ihn
zu schulmeistern, wie er kann."

"Ich habe nichts dawider, daß Euripides seine

einem ſchlechten Recenſenten, dem jedes Organ für die
Verehrung des Vortrefflichen mangelt, und der über
eine tüchtige Natur und einen großen Charakter hin¬
geht, als wäre es Spreu und Stoppel.“

Den Shakſpeare und Calderon dagegen, verſetzte
ich, behandelt er gerecht, und ſogar mit entſchiedener
Neigung.

„Beide, erwiederte Göthe, ſind freilich der Art, daß
man über ſie nicht Gutes genug ſagen kann, wiewohl
ich mich auch nicht wundern würde, wenn Schlegel ſie
gleichfalls ganz ſchmählich herabgeſetzt hätte. So iſt
er auch gegen Aeſchylus und Sophokles gerecht; allein
dieß ſcheint nicht ſowohl zu geſchehen, weil er von
ihrem ganz außerordentlichen Werthe lebendig durch¬
drungen wäre, als weil es bei den Philologen herkömm¬
lich iſt, Beide ſehr hoch zu ſtellen. Denn im Grunde
reicht doch Schlegel's eigenes Perſönchen nicht hin, ſo
hohe Naturen zu begreifen und gehörig zu ſchätzen.
Wäre dieß, ſo müßte er auch gegen Euripides gerecht
ſeyn und auch gegen dieſen ganz anders zu Werke ge¬
hen, als er gethan. Von dieſem weiß er aber, daß
die Philologen ihn nicht eben ſonderlich hoch halten,
und er verſpürt daher kein geringes Behagen, daß es
ihm, auf ſo große Autorität hin, vergönnt iſt, über
dieſen großen Alten ganz ſchändlich herzufallen und ihn
zu ſchulmeiſtern, wie er kann.“

„Ich habe nichts dawider, daß Euripides ſeine

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[136/0158] einem ſchlechten Recenſenten, dem jedes Organ für die Verehrung des Vortrefflichen mangelt, und der über eine tüchtige Natur und einen großen Charakter hin¬ geht, als wäre es Spreu und Stoppel.“ Den Shakſpeare und Calderon dagegen, verſetzte ich, behandelt er gerecht, und ſogar mit entſchiedener Neigung. „Beide, erwiederte Göthe, ſind freilich der Art, daß man über ſie nicht Gutes genug ſagen kann, wiewohl ich mich auch nicht wundern würde, wenn Schlegel ſie gleichfalls ganz ſchmählich herabgeſetzt hätte. So iſt er auch gegen Aeſchylus und Sophokles gerecht; allein dieß ſcheint nicht ſowohl zu geſchehen, weil er von ihrem ganz außerordentlichen Werthe lebendig durch¬ drungen wäre, als weil es bei den Philologen herkömm¬ lich iſt, Beide ſehr hoch zu ſtellen. Denn im Grunde reicht doch Schlegel's eigenes Perſönchen nicht hin, ſo hohe Naturen zu begreifen und gehörig zu ſchätzen. Wäre dieß, ſo müßte er auch gegen Euripides gerecht ſeyn und auch gegen dieſen ganz anders zu Werke ge¬ hen, als er gethan. Von dieſem weiß er aber, daß die Philologen ihn nicht eben ſonderlich hoch halten, und er verſpürt daher kein geringes Behagen, daß es ihm, auf ſo große Autorität hin, vergönnt iſt, über dieſen großen Alten ganz ſchändlich herzufallen und ihn zu ſchulmeiſtern, wie er kann.“ „Ich habe nichts dawider, daß Euripides ſeine

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/158>, abgerufen am 24.11.2024.