einem schlechten Recensenten, dem jedes Organ für die Verehrung des Vortrefflichen mangelt, und der über eine tüchtige Natur und einen großen Charakter hin¬ geht, als wäre es Spreu und Stoppel."
Den Shakspeare und Calderon dagegen, versetzte ich, behandelt er gerecht, und sogar mit entschiedener Neigung.
"Beide, erwiederte Göthe, sind freilich der Art, daß man über sie nicht Gutes genug sagen kann, wiewohl ich mich auch nicht wundern würde, wenn Schlegel sie gleichfalls ganz schmählich herabgesetzt hätte. So ist er auch gegen Aeschylus und Sophokles gerecht; allein dieß scheint nicht sowohl zu geschehen, weil er von ihrem ganz außerordentlichen Werthe lebendig durch¬ drungen wäre, als weil es bei den Philologen herkömm¬ lich ist, Beide sehr hoch zu stellen. Denn im Grunde reicht doch Schlegel's eigenes Persönchen nicht hin, so hohe Naturen zu begreifen und gehörig zu schätzen. Wäre dieß, so müßte er auch gegen Euripides gerecht seyn und auch gegen diesen ganz anders zu Werke ge¬ hen, als er gethan. Von diesem weiß er aber, daß die Philologen ihn nicht eben sonderlich hoch halten, und er verspürt daher kein geringes Behagen, daß es ihm, auf so große Autorität hin, vergönnt ist, über diesen großen Alten ganz schändlich herzufallen und ihn zu schulmeistern, wie er kann."
"Ich habe nichts dawider, daß Euripides seine
einem ſchlechten Recenſenten, dem jedes Organ für die Verehrung des Vortrefflichen mangelt, und der über eine tüchtige Natur und einen großen Charakter hin¬ geht, als wäre es Spreu und Stoppel.“
Den Shakſpeare und Calderon dagegen, verſetzte ich, behandelt er gerecht, und ſogar mit entſchiedener Neigung.
„Beide, erwiederte Göthe, ſind freilich der Art, daß man über ſie nicht Gutes genug ſagen kann, wiewohl ich mich auch nicht wundern würde, wenn Schlegel ſie gleichfalls ganz ſchmählich herabgeſetzt hätte. So iſt er auch gegen Aeſchylus und Sophokles gerecht; allein dieß ſcheint nicht ſowohl zu geſchehen, weil er von ihrem ganz außerordentlichen Werthe lebendig durch¬ drungen wäre, als weil es bei den Philologen herkömm¬ lich iſt, Beide ſehr hoch zu ſtellen. Denn im Grunde reicht doch Schlegel's eigenes Perſönchen nicht hin, ſo hohe Naturen zu begreifen und gehörig zu ſchätzen. Wäre dieß, ſo müßte er auch gegen Euripides gerecht ſeyn und auch gegen dieſen ganz anders zu Werke ge¬ hen, als er gethan. Von dieſem weiß er aber, daß die Philologen ihn nicht eben ſonderlich hoch halten, und er verſpürt daher kein geringes Behagen, daß es ihm, auf ſo große Autorität hin, vergönnt iſt, über dieſen großen Alten ganz ſchändlich herzufallen und ihn zu ſchulmeiſtern, wie er kann.“
„Ich habe nichts dawider, daß Euripides ſeine
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0158"n="136"/>
einem ſchlechten Recenſenten, dem jedes Organ für die<lb/>
Verehrung des Vortrefflichen mangelt, und der über<lb/>
eine tüchtige Natur und einen großen Charakter hin¬<lb/>
geht, als wäre es Spreu und Stoppel.“</p><lb/><p>Den Shakſpeare und Calderon dagegen, verſetzte<lb/>
ich, behandelt er gerecht, und ſogar mit entſchiedener<lb/>
Neigung.</p><lb/><p>„Beide, erwiederte Göthe, ſind freilich der Art, daß<lb/>
man über ſie nicht Gutes genug ſagen kann, wiewohl<lb/>
ich mich auch nicht wundern würde, wenn Schlegel ſie<lb/>
gleichfalls ganz ſchmählich herabgeſetzt hätte. So iſt<lb/>
er auch gegen Aeſchylus und Sophokles gerecht; allein<lb/>
dieß ſcheint nicht ſowohl zu geſchehen, weil er von<lb/>
ihrem ganz außerordentlichen Werthe lebendig durch¬<lb/>
drungen wäre, als weil es bei den Philologen herkömm¬<lb/>
lich iſt, Beide ſehr hoch zu ſtellen. Denn im Grunde<lb/>
reicht doch Schlegel's eigenes Perſönchen nicht hin, ſo<lb/>
hohe Naturen zu begreifen und gehörig zu ſchätzen.<lb/>
Wäre dieß, ſo müßte er auch gegen Euripides gerecht<lb/>ſeyn und auch gegen dieſen ganz anders zu Werke ge¬<lb/>
hen, als er gethan. Von dieſem weiß er aber, daß<lb/>
die Philologen ihn nicht eben ſonderlich hoch halten,<lb/>
und er verſpürt daher kein geringes Behagen, daß es<lb/>
ihm, auf ſo große Autorität hin, vergönnt iſt, über<lb/>
dieſen großen Alten ganz ſchändlich herzufallen und ihn<lb/>
zu ſchulmeiſtern, wie er kann.“</p><lb/><p>„Ich habe nichts dawider, daß Euripides ſeine<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[136/0158]
einem ſchlechten Recenſenten, dem jedes Organ für die
Verehrung des Vortrefflichen mangelt, und der über
eine tüchtige Natur und einen großen Charakter hin¬
geht, als wäre es Spreu und Stoppel.“
Den Shakſpeare und Calderon dagegen, verſetzte
ich, behandelt er gerecht, und ſogar mit entſchiedener
Neigung.
„Beide, erwiederte Göthe, ſind freilich der Art, daß
man über ſie nicht Gutes genug ſagen kann, wiewohl
ich mich auch nicht wundern würde, wenn Schlegel ſie
gleichfalls ganz ſchmählich herabgeſetzt hätte. So iſt
er auch gegen Aeſchylus und Sophokles gerecht; allein
dieß ſcheint nicht ſowohl zu geſchehen, weil er von
ihrem ganz außerordentlichen Werthe lebendig durch¬
drungen wäre, als weil es bei den Philologen herkömm¬
lich iſt, Beide ſehr hoch zu ſtellen. Denn im Grunde
reicht doch Schlegel's eigenes Perſönchen nicht hin, ſo
hohe Naturen zu begreifen und gehörig zu ſchätzen.
Wäre dieß, ſo müßte er auch gegen Euripides gerecht
ſeyn und auch gegen dieſen ganz anders zu Werke ge¬
hen, als er gethan. Von dieſem weiß er aber, daß
die Philologen ihn nicht eben ſonderlich hoch halten,
und er verſpürt daher kein geringes Behagen, daß es
ihm, auf ſo große Autorität hin, vergönnt iſt, über
dieſen großen Alten ganz ſchändlich herzufallen und ihn
zu ſchulmeiſtern, wie er kann.“
„Ich habe nichts dawider, daß Euripides ſeine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/158>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.