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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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jedesmaligen Gegenstandes, besonders mit Rücksicht auf
theatralische Wirkung.

"Ich habe nichts dawider, sagte Goethe, daß ein
dramatischer Dichter eine sittliche Wirkung vor Augen
habe; allein wenn es sich darum handelt, seinen Ge¬
genstand klar und wirksam vor den Augen des Zuschauers
vorüberzuführen, so können ihm dabei seine sittlichen
Endzwecke wenig helfen und er muß vielmehr ein gro¬
ßes Vermögen der Darstellung und Kenntniß der
Bretter besitzen, um zu wissen, was zu thun und zu
lassen. Liegt im Gegenstande eine sittliche Wirkung,
so wird sie auch hervorgehen, und hätte der Dichter
weiter nichts im Auge, als seines Gegenstandes wirk¬
same und kunstgemäße Behandlung. Hat ein Poet den
hohen Gehalt der Seele wie Sophokles, so wird seine
Wirkung immer sittlich seyn, er mag sich stellen, wie er
wolle. Uebrigens kannte er die Bretter und verstand
sein Metier wie Einer."

Wie sehr er das Theater kannte, versetzte ich, und
wie sehr er eine theatralische Wirkung im Auge hatte,
sieht man an seinem Philoktet und der großen Aehn¬
lichkeit, die dieses Stück in der Anordnung und dem
Gange der Handlung mit dem Oedip in Kolonos hat.

In beiden Stücken sehen wir den Helden in einem
hülflosen Zustande, Beide alt und an körperlichen Ge¬
brechen leidend. Der Oedip hat als Stütze die füh¬
rende Tochter zur Seite; der Philoktet den Bogen.

jedesmaligen Gegenſtandes, beſonders mit Rückſicht auf
theatraliſche Wirkung.

„Ich habe nichts dawider, ſagte Goethe, daß ein
dramatiſcher Dichter eine ſittliche Wirkung vor Augen
habe; allein wenn es ſich darum handelt, ſeinen Ge¬
genſtand klar und wirkſam vor den Augen des Zuſchauers
vorüberzuführen, ſo können ihm dabei ſeine ſittlichen
Endzwecke wenig helfen und er muß vielmehr ein gro¬
ßes Vermögen der Darſtellung und Kenntniß der
Bretter beſitzen, um zu wiſſen, was zu thun und zu
laſſen. Liegt im Gegenſtande eine ſittliche Wirkung,
ſo wird ſie auch hervorgehen, und hätte der Dichter
weiter nichts im Auge, als ſeines Gegenſtandes wirk¬
ſame und kunſtgemäße Behandlung. Hat ein Poet den
hohen Gehalt der Seele wie Sophokles, ſo wird ſeine
Wirkung immer ſittlich ſeyn, er mag ſich ſtellen, wie er
wolle. Uebrigens kannte er die Bretter und verſtand
ſein Metier wie Einer.“

Wie ſehr er das Theater kannte, verſetzte ich, und
wie ſehr er eine theatraliſche Wirkung im Auge hatte,
ſieht man an ſeinem Philoktet und der großen Aehn¬
lichkeit, die dieſes Stück in der Anordnung und dem
Gange der Handlung mit dem Oedip in Kolonos hat.

In beiden Stücken ſehen wir den Helden in einem
hülfloſen Zuſtande, Beide alt und an körperlichen Ge¬
brechen leidend. Der Oedip hat als Stütze die füh¬
rende Tochter zur Seite; der Philoktet den Bogen.

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[130/0152] jedesmaligen Gegenſtandes, beſonders mit Rückſicht auf theatraliſche Wirkung. „Ich habe nichts dawider, ſagte Goethe, daß ein dramatiſcher Dichter eine ſittliche Wirkung vor Augen habe; allein wenn es ſich darum handelt, ſeinen Ge¬ genſtand klar und wirkſam vor den Augen des Zuſchauers vorüberzuführen, ſo können ihm dabei ſeine ſittlichen Endzwecke wenig helfen und er muß vielmehr ein gro¬ ßes Vermögen der Darſtellung und Kenntniß der Bretter beſitzen, um zu wiſſen, was zu thun und zu laſſen. Liegt im Gegenſtande eine ſittliche Wirkung, ſo wird ſie auch hervorgehen, und hätte der Dichter weiter nichts im Auge, als ſeines Gegenſtandes wirk¬ ſame und kunſtgemäße Behandlung. Hat ein Poet den hohen Gehalt der Seele wie Sophokles, ſo wird ſeine Wirkung immer ſittlich ſeyn, er mag ſich ſtellen, wie er wolle. Uebrigens kannte er die Bretter und verſtand ſein Metier wie Einer.“ Wie ſehr er das Theater kannte, verſetzte ich, und wie ſehr er eine theatraliſche Wirkung im Auge hatte, ſieht man an ſeinem Philoktet und der großen Aehn¬ lichkeit, die dieſes Stück in der Anordnung und dem Gange der Handlung mit dem Oedip in Kolonos hat. In beiden Stücken ſehen wir den Helden in einem hülfloſen Zuſtande, Beide alt und an körperlichen Ge¬ brechen leidend. Der Oedip hat als Stütze die füh¬ rende Tochter zur Seite; der Philoktet den Bogen.

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/152>, abgerufen am 24.11.2024.