Auch hat er das ganze Stück gegen sich. Er hat die Aeltesten des Staats, welche den Chor bilden, gegen sich; er hat das Volk im Allgemeinen gegen sich; er hat den Teiresias gegen sich; er hat seine eigene Familie gegen sich. Er aber hört nicht, sondern frevelt eigen¬ sinnig fort, bis er alle die Seinigen zu Grunde gerichtet hat und er selber am Ende nur noch ein Schatten ist."
Und doch, sagte ich, wenn man ihn reden hört, so sollte man glauben, daß er einiges Recht habe.
"Das ist's eben, erwiederte Goethe, worin So¬ phokles ein Meister ist und worin überhaupt das Leben des Dramatischen besteht. Seine Charaktere besitzen alle eine solche Redegabe und wissen die Motive ihrer Handlungsweise so überzeugend darzulegen, daß der Zuhörer fast immer auf der Seite dessen ist, der zuletzt gesprochen hat."
"Man sieht, er hat in seiner Jugend eine sehr tüch¬ tige rhetorische Bildung genossen, wodurch er denn geübt worden, alle in einer Sache liegenden Gründe und Scheingründe aufzusuchen. Doch verleitete ihn diese seine große Fähigkeit auch zu Fehlern, indem er mitunter in den Fall kam, zu weit zu gehen."
"So kommt in der Antigone eine Stelle vor, die mir immer als ein Flecken erscheint, und worum ich Vieles geben möchte, wenn ein tüchtiger Philologe uns bewiese, sie wäre eingeschoben und unächt."
"Nachdem nämlich die Heldin im Laufe des Stückes
Auch hat er das ganze Stück gegen ſich. Er hat die Aelteſten des Staats, welche den Chor bilden, gegen ſich; er hat das Volk im Allgemeinen gegen ſich; er hat den Teireſias gegen ſich; er hat ſeine eigene Familie gegen ſich. Er aber hört nicht, ſondern frevelt eigen¬ ſinnig fort, bis er alle die Seinigen zu Grunde gerichtet hat und er ſelber am Ende nur noch ein Schatten iſt.“
Und doch, ſagte ich, wenn man ihn reden hört, ſo ſollte man glauben, daß er einiges Recht habe.
„Das iſt's eben, erwiederte Goethe, worin So¬ phokles ein Meiſter iſt und worin überhaupt das Leben des Dramatiſchen beſteht. Seine Charaktere beſitzen alle eine ſolche Redegabe und wiſſen die Motive ihrer Handlungsweiſe ſo überzeugend darzulegen, daß der Zuhörer faſt immer auf der Seite deſſen iſt, der zuletzt geſprochen hat.“
„Man ſieht, er hat in ſeiner Jugend eine ſehr tüch¬ tige rhetoriſche Bildung genoſſen, wodurch er denn geübt worden, alle in einer Sache liegenden Gründe und Scheingründe aufzuſuchen. Doch verleitete ihn dieſe ſeine große Fähigkeit auch zu Fehlern, indem er mitunter in den Fall kam, zu weit zu gehen.“
„So kommt in der Antigone eine Stelle vor, die mir immer als ein Flecken erſcheint, und worum ich Vieles geben möchte, wenn ein tüchtiger Philologe uns bewieſe, ſie wäre eingeſchoben und unächt.“
„Nachdem nämlich die Heldin im Laufe des Stückes
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Auch hat er das ganze Stück gegen ſich. Er hat die
Aelteſten des Staats, welche den Chor bilden, gegen
ſich; er hat das Volk im Allgemeinen gegen ſich; er
hat den Teireſias gegen ſich; er hat ſeine eigene Familie
gegen ſich. Er aber hört nicht, ſondern frevelt eigen¬
ſinnig fort, bis er alle die Seinigen zu Grunde gerichtet
hat und er ſelber am Ende nur noch ein Schatten iſt.“
Und doch, ſagte ich, wenn man ihn reden hört, ſo
ſollte man glauben, daß er einiges Recht habe.
„Das iſt's eben, erwiederte Goethe, worin So¬
phokles ein Meiſter iſt und worin überhaupt das Leben
des Dramatiſchen beſteht. Seine Charaktere beſitzen
alle eine ſolche Redegabe und wiſſen die Motive ihrer
Handlungsweiſe ſo überzeugend darzulegen, daß der
Zuhörer faſt immer auf der Seite deſſen iſt, der zuletzt
geſprochen hat.“
„Man ſieht, er hat in ſeiner Jugend eine ſehr tüch¬
tige rhetoriſche Bildung genoſſen, wodurch er denn
geübt worden, alle in einer Sache liegenden Gründe
und Scheingründe aufzuſuchen. Doch verleitete ihn
dieſe ſeine große Fähigkeit auch zu Fehlern, indem er
mitunter in den Fall kam, zu weit zu gehen.“
„So kommt in der Antigone eine Stelle vor,
die mir immer als ein Flecken erſcheint, und worum
ich Vieles geben möchte, wenn ein tüchtiger Philologe
uns bewieſe, ſie wäre eingeſchoben und unächt.“
„Nachdem nämlich die Heldin im Laufe des Stückes
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/150>, abgerufen am 24.11.2024.
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