sondern herüber und hinüber reißt, ganz gegen alle Faser und alle natürlich gewachsene Richtung. Das Holz des Masholder muß daher mit der Säge getrennt werden, und zwar ohne alle Gefahr für die Kraft des Bogens.
"Hm! Hm! sagte Goethe. Sie sind übrigens durch Ihre Bogen-Tendenz zu ganz hübschen Kenntnissen gekommen. Und zwar zu lebendigen, die man nur auf praktischem Wege erlangt. Das ist aber immer der Vortheil irgend einer leidenschaftlichen Richtung, daß sie uns in das Innere der Dinge treibt. Auch ist das Suchen und Irren gut, denn durch Suchen und Irren lernt man. Und zwar lernt man nicht bloß die Sache, sondern den ganzen Umfang. Was wüßte ich von der Pflanze und der Farbe, wenn man meine Theorie mir fertig überliefert und ich Beides auswendig gelernt hätte! Aber daß ich eben Alles selber suchen und fin¬ den und auch gelegentlich irren mußte, dadurch kann ich sagen, daß ich von beiden Dingen etwas weiß, und zwar mehr, als auf dem Papiere steht. -- Aber sagen Sie mir noch Eins von Ihrem Bogen. Ich habe schottische gesehen, die bis zu den Spitzen hinaus ganz gerade, andere dagegen, deren Spitzen gekrümmt waren. Welche halten Sie für die besten?"
Ich halte dafür, erwiederte ich, daß bei einem Bo¬ gen mit rückwärts geschweiften Enden die Federkraft bei weitem mächtiger ist. Anfangs machte ich sie
ſondern herüber und hinüber reißt, ganz gegen alle Faſer und alle natürlich gewachſene Richtung. Das Holz des Masholder muß daher mit der Säge getrennt werden, und zwar ohne alle Gefahr für die Kraft des Bogens.
„Hm! Hm! ſagte Goethe. Sie ſind übrigens durch Ihre Bogen-Tendenz zu ganz hübſchen Kenntniſſen gekommen. Und zwar zu lebendigen, die man nur auf praktiſchem Wege erlangt. Das iſt aber immer der Vortheil irgend einer leidenſchaftlichen Richtung, daß ſie uns in das Innere der Dinge treibt. Auch iſt das Suchen und Irren gut, denn durch Suchen und Irren lernt man. Und zwar lernt man nicht bloß die Sache, ſondern den ganzen Umfang. Was wüßte ich von der Pflanze und der Farbe, wenn man meine Theorie mir fertig überliefert und ich Beides auswendig gelernt hätte! Aber daß ich eben Alles ſelber ſuchen und fin¬ den und auch gelegentlich irren mußte, dadurch kann ich ſagen, daß ich von beiden Dingen etwas weiß, und zwar mehr, als auf dem Papiere ſteht. — Aber ſagen Sie mir noch Eins von Ihrem Bogen. Ich habe ſchottiſche geſehen, die bis zu den Spitzen hinaus ganz gerade, andere dagegen, deren Spitzen gekrümmt waren. Welche halten Sie für die beſten?“
Ich halte dafür, erwiederte ich, daß bei einem Bo¬ gen mit rückwärts geſchweiften Enden die Federkraft bei weitem mächtiger iſt. Anfangs machte ich ſie
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ſondern herüber und hinüber reißt, ganz gegen alle
Faſer und alle natürlich gewachſene Richtung. Das
Holz des Masholder muß daher mit der Säge getrennt
werden, und zwar ohne alle Gefahr für die Kraft des
Bogens.
„Hm! Hm! ſagte Goethe. Sie ſind übrigens durch
Ihre Bogen-Tendenz zu ganz hübſchen Kenntniſſen
gekommen. Und zwar zu lebendigen, die man nur auf
praktiſchem Wege erlangt. Das iſt aber immer der
Vortheil irgend einer leidenſchaftlichen Richtung, daß ſie
uns in das Innere der Dinge treibt. Auch iſt das
Suchen und Irren gut, denn durch Suchen und Irren
lernt man. Und zwar lernt man nicht bloß die Sache,
ſondern den ganzen Umfang. Was wüßte ich von der
Pflanze und der Farbe, wenn man meine Theorie mir
fertig überliefert und ich Beides auswendig gelernt
hätte! Aber daß ich eben Alles ſelber ſuchen und fin¬
den und auch gelegentlich irren mußte, dadurch kann
ich ſagen, daß ich von beiden Dingen etwas weiß, und
zwar mehr, als auf dem Papiere ſteht. — Aber ſagen
Sie mir noch Eins von Ihrem Bogen. Ich habe
ſchottiſche geſehen, die bis zu den Spitzen hinaus ganz
gerade, andere dagegen, deren Spitzen gekrümmt waren.
Welche halten Sie für die beſten?“
Ich halte dafür, erwiederte ich, daß bei einem Bo¬
gen mit rückwärts geſchweiften Enden die Federkraft
bei weitem mächtiger iſt. Anfangs machte ich ſie
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/127>, abgerufen am 24.11.2024.
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