machte im Lauf meiner weiteren Bemühungen die Er¬ fahrung, daß alles auf der Winterseite eines Abhanges gewachsene Holz fester und von geraderer Faser befunden wird, als das auf der Sommerseite gewachsene. Auch ist es begreiflich. Denn ein junger Stamm, der in der schattigen Nordseite eines Abhanges aufwächst, hat nur Licht und Sonne nach oben zu suchen, weßhalb er denn, sonnenbegierig, fortwährend aufwärts strebt und die Faser in gerader Richtung mit emporzieht. Auch ist ein schattiger Stand der Bildung einer feineren Faser günstig, welches sehr auffallend an solchen Bäumen zu sehen ist, die einen so freien Stand hatten, daß ihre Südseite lebenslänglich der Sonne ausgesetzt war, während ihre Nordseite fortwährend im Schatten blieb. Liegt ein solcher Stamm in Theile zersägt vor uns da, so bemerkt man, daß der Punkt des Kernes sich keines¬ wegs in der Mitte befindet, sondern bedeutend nach der einen Seite zu. Und diese Verschiebung des Mittel¬ punktes rührt daher, daß die Jahres-Ringe der Süd¬ seite durch fortwährende Sonnenwirkung sich bedeutend stärker entwickelt haben und daher breiter sind, als die Jahresringe der schattigen Nordseite. Tischler und Wagner, wenn es ihnen um ein festes feines Holz zu thun ist, wählen daher lieber die feiner ent¬ wickelte Nordseite eines Stammes, welches sie die Winterseite nennen, und dazu ein besonderes Ver¬ trauen haben.
machte im Lauf meiner weiteren Bemühungen die Er¬ fahrung, daß alles auf der Winterſeite eines Abhanges gewachſene Holz feſter und von geraderer Faſer befunden wird, als das auf der Sommerſeite gewachſene. Auch iſt es begreiflich. Denn ein junger Stamm, der in der ſchattigen Nordſeite eines Abhanges aufwächſt, hat nur Licht und Sonne nach oben zu ſuchen, weßhalb er denn, ſonnenbegierig, fortwährend aufwärts ſtrebt und die Faſer in gerader Richtung mit emporzieht. Auch iſt ein ſchattiger Stand der Bildung einer feineren Faſer günſtig, welches ſehr auffallend an ſolchen Bäumen zu ſehen iſt, die einen ſo freien Stand hatten, daß ihre Südſeite lebenslänglich der Sonne ausgeſetzt war, während ihre Nordſeite fortwährend im Schatten blieb. Liegt ein ſolcher Stamm in Theile zerſägt vor uns da, ſo bemerkt man, daß der Punkt des Kernes ſich keines¬ wegs in der Mitte befindet, ſondern bedeutend nach der einen Seite zu. Und dieſe Verſchiebung des Mittel¬ punktes rührt daher, daß die Jahres-Ringe der Süd¬ ſeite durch fortwährende Sonnenwirkung ſich bedeutend ſtärker entwickelt haben und daher breiter ſind, als die Jahresringe der ſchattigen Nordſeite. Tiſchler und Wagner, wenn es ihnen um ein feſtes feines Holz zu thun iſt, wählen daher lieber die feiner ent¬ wickelte Nordſeite eines Stammes, welches ſie die Winterſeite nennen, und dazu ein beſonderes Ver¬ trauen haben.
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machte im Lauf meiner weiteren Bemühungen die Er¬
fahrung, daß alles auf der Winterſeite eines Abhanges
gewachſene Holz feſter und von geraderer Faſer befunden
wird, als das auf der Sommerſeite gewachſene. Auch
iſt es begreiflich. Denn ein junger Stamm, der in der
ſchattigen Nordſeite eines Abhanges aufwächſt, hat nur
Licht und Sonne nach oben zu ſuchen, weßhalb er
denn, ſonnenbegierig, fortwährend aufwärts ſtrebt und
die Faſer in gerader Richtung mit emporzieht. Auch iſt
ein ſchattiger Stand der Bildung einer feineren Faſer
günſtig, welches ſehr auffallend an ſolchen Bäumen zu
ſehen iſt, die einen ſo freien Stand hatten, daß ihre
Südſeite lebenslänglich der Sonne ausgeſetzt war,
während ihre Nordſeite fortwährend im Schatten blieb.
Liegt ein ſolcher Stamm in Theile zerſägt vor uns da,
ſo bemerkt man, daß der Punkt des Kernes ſich keines¬
wegs in der Mitte befindet, ſondern bedeutend nach
der einen Seite zu. Und dieſe Verſchiebung des Mittel¬
punktes rührt daher, daß die Jahres-Ringe der Süd¬
ſeite durch fortwährende Sonnenwirkung ſich bedeutend
ſtärker entwickelt haben und daher breiter ſind, als die
Jahresringe der ſchattigen Nordſeite. Tiſchler und
Wagner, wenn es ihnen um ein feſtes feines Holz
zu thun iſt, wählen daher lieber die feiner ent¬
wickelte Nordſeite eines Stammes, welches ſie die
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/124>, abgerufen am 24.11.2024.
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