Zelter's Brief lag noch auf dem Tische. "Es ist wunderlich, gar wunderlich, sagte Goethe, wie leicht man zu der öffentlichen Meinung in eine falsche Stellung geräth! -- Ich wüßte nicht, daß ich je etwas gegen das Volk gesündigt, aber ich soll nun ein- für allemal kein Freund des Volkes seyn. Freilich bin ich kein Freund des revolutionären Pöbels, der auf Raub, Mord und Brand ausgeht, und hinter dem falschen Schilde des öffentlichen Wohles nur die gemeinsten egoistischen Zwecke im Auge hat. Ich bin kein Freund solcher Leute, ebensowenig als ich ein Freund eines Ludwigs des Funfzehnten bin. Ich hasse jeden gewaltsamen Um¬ sturz, weil dabei ebensoviel Gutes vernichtet, als gewonnen wird. Ich hasse die, welche ihn ausführen, wie die, welche dazu Ursache geben. Aber bin ich darum kein Freund des Volkes? -- Denkt denn jeder rechtlich gesinnte Mann etwa anders?"
"Sie wissen, wie sehr ich mich über jede Verbesserung freue, welche die Zukunft uns etwa in Aussicht stellt. Aber, wie gesagt, jedes Gewaltsame, Sprunghafte, ist mir in der Seele zuwider, denn es ist nicht natur¬ gemäß."
"Ich bin ein Freund der Pflanze, ich liebe die Rose, als das Vollkommenste, was unsere deutsche Natur als Blume gewähren kann; aber ich bin nicht Thor genug, um zu verlangen, daß mein Garten sie mir schon jetzt, Ende April, gewähren soll. Ich bin zufrieden,
Zelter's Brief lag noch auf dem Tiſche. „Es iſt wunderlich, gar wunderlich, ſagte Goethe, wie leicht man zu der öffentlichen Meinung in eine falſche Stellung geräth! — Ich wüßte nicht, daß ich je etwas gegen das Volk geſündigt, aber ich ſoll nun ein- für allemal kein Freund des Volkes ſeyn. Freilich bin ich kein Freund des revolutionären Pöbels, der auf Raub, Mord und Brand ausgeht, und hinter dem falſchen Schilde des öffentlichen Wohles nur die gemeinſten egoiſtiſchen Zwecke im Auge hat. Ich bin kein Freund ſolcher Leute, ebenſowenig als ich ein Freund eines Ludwigs des Funfzehnten bin. Ich haſſe jeden gewaltſamen Um¬ ſturz, weil dabei ebenſoviel Gutes vernichtet, als gewonnen wird. Ich haſſe die, welche ihn ausführen, wie die, welche dazu Urſache geben. Aber bin ich darum kein Freund des Volkes? — Denkt denn jeder rechtlich geſinnte Mann etwa anders?“
„Sie wiſſen, wie ſehr ich mich über jede Verbeſſerung freue, welche die Zukunft uns etwa in Ausſicht ſtellt. Aber, wie geſagt, jedes Gewaltſame, Sprunghafte, iſt mir in der Seele zuwider, denn es iſt nicht natur¬ gemäß.“
„Ich bin ein Freund der Pflanze, ich liebe die Roſe, als das Vollkommenſte, was unſere deutſche Natur als Blume gewähren kann; aber ich bin nicht Thor genug, um zu verlangen, daß mein Garten ſie mir ſchon jetzt, Ende April, gewähren ſoll. Ich bin zufrieden,
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Zelter's Brief lag noch auf dem Tiſche. „Es iſt
wunderlich, gar wunderlich, ſagte Goethe, wie leicht man
zu der öffentlichen Meinung in eine falſche Stellung
geräth! — Ich wüßte nicht, daß ich je etwas gegen
das Volk geſündigt, aber ich ſoll nun ein- für allemal
kein Freund des Volkes ſeyn. Freilich bin ich kein
Freund des revolutionären Pöbels, der auf Raub, Mord
und Brand ausgeht, und hinter dem falſchen Schilde
des öffentlichen Wohles nur die gemeinſten egoiſtiſchen
Zwecke im Auge hat. Ich bin kein Freund ſolcher
Leute, ebenſowenig als ich ein Freund eines Ludwigs
des Funfzehnten bin. Ich haſſe jeden gewaltſamen Um¬
ſturz, weil dabei ebenſoviel Gutes vernichtet, als
gewonnen wird. Ich haſſe die, welche ihn ausführen,
wie die, welche dazu Urſache geben. Aber bin ich darum
kein Freund des Volkes? — Denkt denn jeder rechtlich
geſinnte Mann etwa anders?“
„Sie wiſſen, wie ſehr ich mich über jede Verbeſſerung
freue, welche die Zukunft uns etwa in Ausſicht ſtellt.
Aber, wie geſagt, jedes Gewaltſame, Sprunghafte, iſt
mir in der Seele zuwider, denn es iſt nicht natur¬
gemäß.“
„Ich bin ein Freund der Pflanze, ich liebe die
Roſe, als das Vollkommenſte, was unſere deutſche Natur
als Blume gewähren kann; aber ich bin nicht Thor
genug, um zu verlangen, daß mein Garten ſie mir ſchon
jetzt, Ende April, gewähren ſoll. Ich bin zufrieden,
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/108>, abgerufen am 24.11.2024.
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