Auch hatte er keine Ruhe und konnte nie fertig werden, wie Sie an den Briefen über den Wilhelm Meister sehen, den er bald so und bald anders haben will. Ich hatte nur immer zu thun, daß ich fest stand und seine wie meine Sachen von solchen Einflüssen frey hielt und schützte."
Ich habe diesen Morgen, sagte ich, seine nadowessi¬ sche Todtenklage gelesen, und mich gefreut, wie das Ge¬ dicht so vortrefflich ist.
"Sie sehen, antwortete Goethe, wie Schiller ein großer Künstler war, und wie er auch das Objective zu fassen wußte, wenn es ihm als Überlieferung vor Augen kam. Gewiß die nadowessische Todtenklage gehört zu seinen allerbesten Gedichten, und ich wollte nur, daß er ein Dutzend in dieser Art gemacht hätte. Aber kön¬ nen Sie denken, daß seine nächsten Freunde ihn dieses Gedichtes wegen tadelten, indem sie meinten, es trage nicht genug von seiner Idealität? -- Ja, mein Guter, man hat von seinen Freunden zu leiden gehabt! -- Tadelte doch Humboldt auch an meiner Dorothea, daß sie bey dem Überfall der Krieger zu den Waffen gegriffen und drein geschlagen habe! Und doch, ohne jenen Zug, ist ja der Character des außerordentlichen Mädchens, wie sie zu dieser Zeit und zu diesen Zuständen recht war, sogleich vernichtet, und sie sinkt in die Reihe des Gewöhnlichen herab. -- Aber Sie werden bey weite¬ rem Leben immer mehr finden, wie wenige Menschen
Auch hatte er keine Ruhe und konnte nie fertig werden, wie Sie an den Briefen uͤber den Wilhelm Meiſter ſehen, den er bald ſo und bald anders haben will. Ich hatte nur immer zu thun, daß ich feſt ſtand und ſeine wie meine Sachen von ſolchen Einfluͤſſen frey hielt und ſchuͤtzte.“
Ich habe dieſen Morgen, ſagte ich, ſeine nadoweſſi¬ ſche Todtenklage geleſen, und mich gefreut, wie das Ge¬ dicht ſo vortrefflich iſt.
„Sie ſehen, antwortete Goethe, wie Schiller ein großer Kuͤnſtler war, und wie er auch das Objective zu faſſen wußte, wenn es ihm als Überlieferung vor Augen kam. Gewiß die nadoweſſiſche Todtenklage gehoͤrt zu ſeinen allerbeſten Gedichten, und ich wollte nur, daß er ein Dutzend in dieſer Art gemacht haͤtte. Aber koͤn¬ nen Sie denken, daß ſeine naͤchſten Freunde ihn dieſes Gedichtes wegen tadelten, indem ſie meinten, es trage nicht genug von ſeiner Idealitaͤt? — Ja, mein Guter, man hat von ſeinen Freunden zu leiden gehabt! — Tadelte doch Humboldt auch an meiner Dorothea, daß ſie bey dem Überfall der Krieger zu den Waffen gegriffen und drein geſchlagen habe! Und doch, ohne jenen Zug, iſt ja der Character des außerordentlichen Maͤdchens, wie ſie zu dieſer Zeit und zu dieſen Zuſtaͤnden recht war, ſogleich vernichtet, und ſie ſinkt in die Reihe des Gewoͤhnlichen herab. — Aber Sie werden bey weite¬ rem Leben immer mehr finden, wie wenige Menſchen
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Auch hatte er keine Ruhe und konnte nie fertig werden,
wie Sie an den Briefen uͤber den Wilhelm Meiſter
ſehen, den er bald ſo und bald anders haben will. Ich
hatte nur immer zu thun, daß ich feſt ſtand und ſeine
wie meine Sachen von ſolchen Einfluͤſſen frey hielt und
ſchuͤtzte.“
Ich habe dieſen Morgen, ſagte ich, ſeine nadoweſſi¬
ſche Todtenklage geleſen, und mich gefreut, wie das Ge¬
dicht ſo vortrefflich iſt.
„Sie ſehen, antwortete Goethe, wie Schiller ein
großer Kuͤnſtler war, und wie er auch das Objective zu
faſſen wußte, wenn es ihm als Überlieferung vor Augen
kam. Gewiß die nadoweſſiſche Todtenklage gehoͤrt zu
ſeinen allerbeſten Gedichten, und ich wollte nur, daß
er ein Dutzend in dieſer Art gemacht haͤtte. Aber koͤn¬
nen Sie denken, daß ſeine naͤchſten Freunde ihn dieſes
Gedichtes wegen tadelten, indem ſie meinten, es trage nicht
genug von ſeiner Idealitaͤt? — Ja, mein Guter, man
hat von ſeinen Freunden zu leiden gehabt! — Tadelte
doch Humboldt auch an meiner Dorothea, daß ſie
bey dem Überfall der Krieger zu den Waffen gegriffen
und drein geſchlagen habe! Und doch, ohne jenen Zug,
iſt ja der Character des außerordentlichen Maͤdchens,
wie ſie zu dieſer Zeit und zu dieſen Zuſtaͤnden recht
war, ſogleich vernichtet, und ſie ſinkt in die Reihe des
Gewoͤhnlichen herab. — Aber Sie werden bey weite¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/99>, abgerufen am 22.11.2024.
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