außer Acht gelassen; denn in beyden Fällen ist von einer kaum merklich tingirten Fläche die Rede, und in beyden Fällen steht die geforderte Farbe beym ersten Hinblick so¬ gleich entschieden da.
Aber Goethe, bey seinem Festhalten am einmal er¬ kannten Gesetzlichen, und bey seiner Maxime, es selbst in solchen Fällen vorauszusetzen, wo es sich zu verber¬ gen scheine, konnte sehr leicht verführt werden eine Synthese zu weit greifen zu lassen, und ein liebgewon¬ nenes Gesetz auch da zu erblicken, wo ein ganz anderes wirkte.
Als er nun heute seine Farbenlehre zur Erwähnung brachte, und sich erkundigte, wie es mit dem besproche¬ nen Compendium stehe, hätte ich die so eben entwickelten Puncte gerne verschweigen mögen, denn ich fühlte mich in einiger Verlegenheit, wie ich ihm die Wahrheit sagen sollte, ohne ihn zu verletzen.
Allein da es mir mit dem Compendium wirklich ernst war, so mußten, ehe ich in dem Unternehmen sicher vor¬ schreiten konnte, zuvor alle Irrthümer beseitigt und alle Mißverständnisse besprochen und gehoben seyn.
Es blieb mir daher nichts übrig, als voll Vertrauen ihm zu bekennen, daß ich nach sorgfältigen Beobachtun¬ gen mich in dem Fall befinde, in einigen Puncten von ihm abweichen zu müssen, indem ich sowohl seine Ablei¬ tung der blauen Schatten im Schnee, als auch seine
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außer Acht gelaſſen; denn in beyden Faͤllen iſt von einer kaum merklich tingirten Flaͤche die Rede, und in beyden Faͤllen ſteht die geforderte Farbe beym erſten Hinblick ſo¬ gleich entſchieden da.
Aber Goethe, bey ſeinem Feſthalten am einmal er¬ kannten Geſetzlichen, und bey ſeiner Maxime, es ſelbſt in ſolchen Faͤllen vorauszuſetzen, wo es ſich zu verber¬ gen ſcheine, konnte ſehr leicht verfuͤhrt werden eine Syntheſe zu weit greifen zu laſſen, und ein liebgewon¬ nenes Geſetz auch da zu erblicken, wo ein ganz anderes wirkte.
Als er nun heute ſeine Farbenlehre zur Erwaͤhnung brachte, und ſich erkundigte, wie es mit dem beſproche¬ nen Compendium ſtehe, haͤtte ich die ſo eben entwickelten Puncte gerne verſchweigen moͤgen, denn ich fuͤhlte mich in einiger Verlegenheit, wie ich ihm die Wahrheit ſagen ſollte, ohne ihn zu verletzen.
Allein da es mir mit dem Compendium wirklich ernſt war, ſo mußten, ehe ich in dem Unternehmen ſicher vor¬ ſchreiten konnte, zuvor alle Irrthuͤmer beſeitigt und alle Mißverſtaͤndniſſe beſprochen und gehoben ſeyn.
Es blieb mir daher nichts uͤbrig, als voll Vertrauen ihm zu bekennen, daß ich nach ſorgfaͤltigen Beobachtun¬ gen mich in dem Fall befinde, in einigen Puncten von ihm abweichen zu muͤſſen, indem ich ſowohl ſeine Ablei¬ tung der blauen Schatten im Schnee, als auch ſeine
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außer Acht gelaſſen; denn in beyden Faͤllen iſt von einer
kaum merklich tingirten Flaͤche die Rede, und in beyden
Faͤllen ſteht die geforderte Farbe beym erſten Hinblick ſo¬
gleich entſchieden da.
Aber Goethe, bey ſeinem Feſthalten am einmal er¬
kannten Geſetzlichen, und bey ſeiner Maxime, es ſelbſt
in ſolchen Faͤllen vorauszuſetzen, wo es ſich zu verber¬
gen ſcheine, konnte ſehr leicht verfuͤhrt werden eine
Syntheſe zu weit greifen zu laſſen, und ein liebgewon¬
nenes Geſetz auch da zu erblicken, wo ein ganz anderes
wirkte.
Als er nun heute ſeine Farbenlehre zur Erwaͤhnung
brachte, und ſich erkundigte, wie es mit dem beſproche¬
nen Compendium ſtehe, haͤtte ich die ſo eben entwickelten
Puncte gerne verſchweigen moͤgen, denn ich fuͤhlte mich
in einiger Verlegenheit, wie ich ihm die Wahrheit ſagen
ſollte, ohne ihn zu verletzen.
Allein da es mir mit dem Compendium wirklich ernſt
war, ſo mußten, ehe ich in dem Unternehmen ſicher vor¬
ſchreiten konnte, zuvor alle Irrthuͤmer beſeitigt und alle
Mißverſtaͤndniſſe beſprochen und gehoben ſeyn.
Es blieb mir daher nichts uͤbrig, als voll Vertrauen
ihm zu bekennen, daß ich nach ſorgfaͤltigen Beobachtun¬
gen mich in dem Fall befinde, in einigen Puncten von
ihm abweichen zu muͤſſen, indem ich ſowohl ſeine Ablei¬
tung der blauen Schatten im Schnee, als auch ſeine
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/93>, abgerufen am 26.11.2024.
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