Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ich habe im Schubart zu lesen fortgefahren, sagte
Goethe; er ist freylich ein bedeutender Mensch, und er
sagt sogar manches sehr Vorzügliche, wenn man es sich
in seine eigene Sprache übersetzt. Die Hauptrichtung
seines Buches geht darauf hinaus, daß es einen Stand¬
punct außerhalb der Philosophie gebe, nämlich den des
gesunden Menschenverstandes; und daß Kunst und Wis¬
senschaft, unabhängig von der Philosophie, mittelst freyer
Wirkung natürlicher menschlicher Kräfte, immer am besten
gediehen sey. Dieß ist durchaus Wasser auf unsere Mühle.
Von der Philosophie habe ich mich selbst immer frey
erhalten; der Standpunct des gesunden Menschenverstan¬
des war auch der meinige, und Schubart bestätiget also,
was ich mein ganzes Leben selber gesagt und gethan habe.

Das Einzige, was ich an ihm nicht durchaus loben
kann, ist, daß er gewisse Dinge besser weiß als er sie
sagt, und daß er also nicht immer ganz ehrlich zu Werke
geht. So wie Hegel zieht auch er die christliche Reli¬

Ich habe im Schubart zu leſen fortgefahren, ſagte
Goethe; er iſt freylich ein bedeutender Menſch, und er
ſagt ſogar manches ſehr Vorzuͤgliche, wenn man es ſich
in ſeine eigene Sprache uͤberſetzt. Die Hauptrichtung
ſeines Buches geht darauf hinaus, daß es einen Stand¬
punct außerhalb der Philoſophie gebe, naͤmlich den des
geſunden Menſchenverſtandes; und daß Kunſt und Wiſ¬
ſenſchaft, unabhaͤngig von der Philoſophie, mittelſt freyer
Wirkung natuͤrlicher menſchlicher Kraͤfte, immer am beſten
gediehen ſey. Dieß iſt durchaus Waſſer auf unſere Muͤhle.
Von der Philoſophie habe ich mich ſelbſt immer frey
erhalten; der Standpunct des geſunden Menſchenverſtan¬
des war auch der meinige, und Schubart beſtaͤtiget alſo,
was ich mein ganzes Leben ſelber geſagt und gethan habe.

Das Einzige, was ich an ihm nicht durchaus loben
kann, iſt, daß er gewiſſe Dinge beſſer weiß als er ſie
ſagt, und daß er alſo nicht immer ganz ehrlich zu Werke
geht. So wie Hegel zieht auch er die chriſtliche Reli¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <pb facs="#f0065" n="[55]"/>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Mittwoch, den 4. Februar 1829.<lb/></dateline>
          <p>&#x201E;<hi rendition="#in">I</hi>ch habe im <hi rendition="#g">Schubart</hi> zu le&#x017F;en fortgefahren, &#x017F;agte<lb/>
Goethe; er i&#x017F;t freylich ein bedeutender Men&#x017F;ch, und er<lb/>
&#x017F;agt &#x017F;ogar manches &#x017F;ehr Vorzu&#x0364;gliche, wenn man es &#x017F;ich<lb/>
in &#x017F;eine eigene Sprache u&#x0364;ber&#x017F;etzt. Die Hauptrichtung<lb/>
&#x017F;eines Buches geht darauf hinaus, daß es einen Stand¬<lb/>
punct außerhalb der Philo&#x017F;ophie gebe, na&#x0364;mlich den des<lb/>
ge&#x017F;unden Men&#x017F;chenver&#x017F;tandes; und daß Kun&#x017F;t und Wi&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en&#x017F;chaft, unabha&#x0364;ngig von der Philo&#x017F;ophie, mittel&#x017F;t freyer<lb/>
Wirkung natu&#x0364;rlicher men&#x017F;chlicher Kra&#x0364;fte, immer am be&#x017F;ten<lb/>
gediehen &#x017F;ey. Dieß i&#x017F;t durchaus Wa&#x017F;&#x017F;er auf un&#x017F;ere Mu&#x0364;hle.<lb/>
Von der Philo&#x017F;ophie habe ich mich &#x017F;elb&#x017F;t immer frey<lb/>
erhalten; der Standpunct des ge&#x017F;unden Men&#x017F;chenver&#x017F;tan¬<lb/>
des war auch der meinige, und Schubart be&#x017F;ta&#x0364;tiget al&#x017F;o,<lb/>
was ich mein ganzes Leben &#x017F;elber ge&#x017F;agt und gethan habe.</p><lb/>
          <p>Das Einzige, was ich an ihm nicht durchaus loben<lb/>
kann, i&#x017F;t, daß er gewi&#x017F;&#x017F;e Dinge be&#x017F;&#x017F;er weiß als er &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;agt, und daß er al&#x017F;o nicht immer ganz ehrlich zu Werke<lb/>
geht. So wie Hegel zieht auch er die chri&#x017F;tliche Reli¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[55]/0065] Mittwoch, den 4. Februar 1829. „Ich habe im Schubart zu leſen fortgefahren, ſagte Goethe; er iſt freylich ein bedeutender Menſch, und er ſagt ſogar manches ſehr Vorzuͤgliche, wenn man es ſich in ſeine eigene Sprache uͤberſetzt. Die Hauptrichtung ſeines Buches geht darauf hinaus, daß es einen Stand¬ punct außerhalb der Philoſophie gebe, naͤmlich den des geſunden Menſchenverſtandes; und daß Kunſt und Wiſ¬ ſenſchaft, unabhaͤngig von der Philoſophie, mittelſt freyer Wirkung natuͤrlicher menſchlicher Kraͤfte, immer am beſten gediehen ſey. Dieß iſt durchaus Waſſer auf unſere Muͤhle. Von der Philoſophie habe ich mich ſelbſt immer frey erhalten; der Standpunct des geſunden Menſchenverſtan¬ des war auch der meinige, und Schubart beſtaͤtiget alſo, was ich mein ganzes Leben ſelber geſagt und gethan habe. Das Einzige, was ich an ihm nicht durchaus loben kann, iſt, daß er gewiſſe Dinge beſſer weiß als er ſie ſagt, und daß er alſo nicht immer ganz ehrlich zu Werke geht. So wie Hegel zieht auch er die chriſtliche Reli¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/65
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. [55]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/65>, abgerufen am 23.11.2024.