Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

wir sind, und wissen, wohin wir eine große Zahl unserer
neuesten Literatoren zu classificiren haben."


Ich war heute mit Goethe in seiner Arbeitsstube
allein zu Tisch; wir sprachen über verschiedene literari¬
sche Dinge.

"Die Deutschen, sagte er, können die Philisterey
nicht loswerden. -- Da quängeln und streiten sie jetzt
über verschiedene Distichen, die sich bey Schiller gedruckt
finden und auch bey mir, und sie meinen, es wäre von
Wichtigkeit, entschieden herauszubringen, welche denn
wirklich Schillern gehören und welche mir. Als ob et¬
was darauf ankäme, als ob etwas damit gewonnen
würde, und als ob es nicht genug wäre, daß die Sachen
da sind!"

"Freunde wie Schiller und ich, Jahre lang verbun¬
den, mit gleichen Interessen, in täglicher Berührung und
gegenseitigem Austausch, lebten sich in einander so sehr
hinein, daß überhaupt bei einzelnen Gedanken gar nicht
die Rede und Frage seyn konnte, ob sie dem Einen ge¬
hörten oder dem Andern. Wir haben viele Distichen ge¬
meinschaftlich gemacht, oft hatte ich den Gedanken und
Schiller machte die Verse, oft war das Umgekehrte der

wir ſind, und wiſſen, wohin wir eine große Zahl unſerer
neueſten Literatoren zu claſſificiren haben.“


Ich war heute mit Goethe in ſeiner Arbeitsſtube
allein zu Tiſch; wir ſprachen uͤber verſchiedene literari¬
ſche Dinge.

„Die Deutſchen, ſagte er, koͤnnen die Philiſterey
nicht loswerden. — Da quaͤngeln und ſtreiten ſie jetzt
uͤber verſchiedene Diſtichen, die ſich bey Schiller gedruckt
finden und auch bey mir, und ſie meinen, es waͤre von
Wichtigkeit, entſchieden herauszubringen, welche denn
wirklich Schillern gehoͤren und welche mir. Als ob et¬
was darauf ankaͤme, als ob etwas damit gewonnen
wuͤrde, und als ob es nicht genug waͤre, daß die Sachen
da ſind!“

„Freunde wie Schiller und ich, Jahre lang verbun¬
den, mit gleichen Intereſſen, in taͤglicher Beruͤhrung und
gegenſeitigem Austauſch, lebten ſich in einander ſo ſehr
hinein, daß uͤberhaupt bei einzelnen Gedanken gar nicht
die Rede und Frage ſeyn konnte, ob ſie dem Einen ge¬
hoͤrten oder dem Andern. Wir haben viele Diſtichen ge¬
meinſchaftlich gemacht, oft hatte ich den Gedanken und
Schiller machte die Verſe, oft war das Umgekehrte der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0052" n="42"/>
wir &#x017F;ind, und wi&#x017F;&#x017F;en, wohin wir eine große Zahl un&#x017F;erer<lb/>
neue&#x017F;ten Literatoren zu cla&#x017F;&#x017F;ificiren haben.&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Dien&#x017F;tag, den 16. December 1828.<lb/></dateline>
          <p>Ich war heute mit Goethe in &#x017F;einer Arbeits&#x017F;tube<lb/>
allein zu Ti&#x017F;ch; wir &#x017F;prachen u&#x0364;ber ver&#x017F;chiedene literari¬<lb/>
&#x017F;che Dinge.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Die Deut&#x017F;chen, &#x017F;agte er, ko&#x0364;nnen die Phili&#x017F;terey<lb/>
nicht loswerden. &#x2014; Da qua&#x0364;ngeln und &#x017F;treiten &#x017F;ie jetzt<lb/>
u&#x0364;ber ver&#x017F;chiedene Di&#x017F;tichen, die &#x017F;ich bey Schiller gedruckt<lb/>
finden und auch bey mir, und &#x017F;ie meinen, es wa&#x0364;re von<lb/>
Wichtigkeit, ent&#x017F;chieden herauszubringen, welche denn<lb/>
wirklich Schillern geho&#x0364;ren und welche mir. Als ob et¬<lb/>
was darauf anka&#x0364;me, als ob etwas damit gewonnen<lb/>
wu&#x0364;rde, und als ob es nicht genug wa&#x0364;re, daß die Sachen<lb/>
da &#x017F;ind!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Freunde wie Schiller und ich, Jahre lang verbun¬<lb/>
den, mit gleichen Intere&#x017F;&#x017F;en, in ta&#x0364;glicher Beru&#x0364;hrung und<lb/>
gegen&#x017F;eitigem Austau&#x017F;ch, lebten &#x017F;ich in einander &#x017F;o &#x017F;ehr<lb/>
hinein, daß u&#x0364;berhaupt bei einzelnen Gedanken gar nicht<lb/>
die Rede und Frage &#x017F;eyn konnte, ob &#x017F;ie dem Einen ge¬<lb/>
ho&#x0364;rten oder dem Andern. Wir haben viele Di&#x017F;tichen ge¬<lb/>
mein&#x017F;chaftlich gemacht, oft hatte ich den Gedanken und<lb/>
Schiller machte die Ver&#x017F;e, oft war das Umgekehrte der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0052] wir ſind, und wiſſen, wohin wir eine große Zahl unſerer neueſten Literatoren zu claſſificiren haben.“ Dienſtag, den 16. December 1828. Ich war heute mit Goethe in ſeiner Arbeitsſtube allein zu Tiſch; wir ſprachen uͤber verſchiedene literari¬ ſche Dinge. „Die Deutſchen, ſagte er, koͤnnen die Philiſterey nicht loswerden. — Da quaͤngeln und ſtreiten ſie jetzt uͤber verſchiedene Diſtichen, die ſich bey Schiller gedruckt finden und auch bey mir, und ſie meinen, es waͤre von Wichtigkeit, entſchieden herauszubringen, welche denn wirklich Schillern gehoͤren und welche mir. Als ob et¬ was darauf ankaͤme, als ob etwas damit gewonnen wuͤrde, und als ob es nicht genug waͤre, daß die Sachen da ſind!“ „Freunde wie Schiller und ich, Jahre lang verbun¬ den, mit gleichen Intereſſen, in taͤglicher Beruͤhrung und gegenſeitigem Austauſch, lebten ſich in einander ſo ſehr hinein, daß uͤberhaupt bei einzelnen Gedanken gar nicht die Rede und Frage ſeyn konnte, ob ſie dem Einen ge¬ hoͤrten oder dem Andern. Wir haben viele Diſtichen ge¬ meinſchaftlich gemacht, oft hatte ich den Gedanken und Schiller machte die Verſe, oft war das Umgekehrte der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/52
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/52>, abgerufen am 25.11.2024.