Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

gen war, und den ich nun in seiner vollen Liebenswür¬
digkeit persönlich vor Augen hatte.

Biscuit und schöne Trauben wurden zum Nachtisch
aufgetragen. Letztere waren aus der Ferne gesendet und
Goethe that geheimnißvoll, woher sie gekommen. Er
vertheilte sie und reichte mir eine sehr reife über den
Tisch. "Hier, mein Guter, sagte er, essen Sie von
diesen Süßigkeiten und seyn Sie vergnügt." Ich ließ
mir die Traube aus Goethe's Händen wohlschmecken
und war nun mit Leib und Seele völlig in seiner
Nähe.

Man sprach vom Theater, von Wolff's Verdien¬
sten, und wie viel Gutes von diesem trefflichen Künst¬
ler ausgegangen.

"Ich weiß sehr wohl, sagte Goethe, daß unsere hie¬
sigen älteren Schauspieler manches von mir gelernt ha¬
ben, aber im eigentlichen Sinne kann ich doch nur
Wolff meinen Schüler nennen. Wie sehr er in meine
Maximen eingedrungen war, und wie er in meinem
Sinne handelte, davon will ich einen Fall erzählen, den
ich gerne wiederhole."

"Ich war einst gewisser anderer Ursachen wegen auf
Wolff sehr böse. Er hatte Abends zu spielen und ich
saß in meiner Loge. Jetzt, dachte ich, sollst du ihm
doch einmal recht aufpassen; es ist doch heute nicht die
Spur einer Neigung in dir, die für ihn sprechen und
ihn entschuldigen könnte. -- Wolff spielte und ich wen¬

gen war, und den ich nun in ſeiner vollen Liebenswuͤr¬
digkeit perſoͤnlich vor Augen hatte.

Biscuit und ſchoͤne Trauben wurden zum Nachtiſch
aufgetragen. Letztere waren aus der Ferne geſendet und
Goethe that geheimnißvoll, woher ſie gekommen. Er
vertheilte ſie und reichte mir eine ſehr reife uͤber den
Tiſch. „Hier, mein Guter, ſagte er, eſſen Sie von
dieſen Suͤßigkeiten und ſeyn Sie vergnuͤgt.“ Ich ließ
mir die Traube aus Goethe's Haͤnden wohlſchmecken
und war nun mit Leib und Seele voͤllig in ſeiner
Naͤhe.

Man ſprach vom Theater, von Wolff's Verdien¬
ſten, und wie viel Gutes von dieſem trefflichen Kuͤnſt¬
ler ausgegangen.

„Ich weiß ſehr wohl, ſagte Goethe, daß unſere hie¬
ſigen aͤlteren Schauſpieler manches von mir gelernt ha¬
ben, aber im eigentlichen Sinne kann ich doch nur
Wolff meinen Schuͤler nennen. Wie ſehr er in meine
Maximen eingedrungen war, und wie er in meinem
Sinne handelte, davon will ich einen Fall erzaͤhlen, den
ich gerne wiederhole.“

„Ich war einſt gewiſſer anderer Urſachen wegen auf
Wolff ſehr boͤſe. Er hatte Abends zu ſpielen und ich
ſaß in meiner Loge. Jetzt, dachte ich, ſollſt du ihm
doch einmal recht aufpaſſen; es iſt doch heute nicht die
Spur einer Neigung in dir, die fuͤr ihn ſprechen und
ihn entſchuldigen koͤnnte. — Wolff ſpielte und ich wen¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0047" n="37"/>
gen war, und den ich nun in &#x017F;einer vollen Liebenswu&#x0364;<lb/>
digkeit per&#x017F;o&#x0364;nlich vor Augen hatte.</p><lb/>
          <p>Biscuit und &#x017F;cho&#x0364;ne Trauben wurden zum Nachti&#x017F;ch<lb/>
aufgetragen. Letztere waren aus der Ferne ge&#x017F;endet und<lb/>
Goethe that geheimnißvoll, woher &#x017F;ie gekommen. Er<lb/>
vertheilte &#x017F;ie und reichte mir eine &#x017F;ehr reife u&#x0364;ber den<lb/>
Ti&#x017F;ch. &#x201E;Hier, mein Guter, &#x017F;agte er, e&#x017F;&#x017F;en Sie von<lb/>
die&#x017F;en Su&#x0364;ßigkeiten und &#x017F;eyn Sie vergnu&#x0364;gt.&#x201C; Ich ließ<lb/>
mir die Traube aus Goethe's Ha&#x0364;nden wohl&#x017F;chmecken<lb/>
und war nun mit Leib und Seele vo&#x0364;llig in &#x017F;einer<lb/>
Na&#x0364;he.</p><lb/>
          <p>Man &#x017F;prach vom Theater, von <hi rendition="#g">Wolff's</hi> Verdien¬<lb/>
&#x017F;ten, und wie viel Gutes von die&#x017F;em trefflichen Ku&#x0364;n&#x017F;<lb/>
ler ausgegangen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich weiß &#x017F;ehr wohl, &#x017F;agte Goethe, daß un&#x017F;ere hie¬<lb/>
&#x017F;igen a&#x0364;lteren Schau&#x017F;pieler manches von mir gelernt ha¬<lb/>
ben, aber im eigentlichen Sinne kann ich doch nur<lb/><hi rendition="#g">Wolff</hi> meinen Schu&#x0364;ler nennen. Wie &#x017F;ehr er in meine<lb/>
Maximen eingedrungen war, und wie er in meinem<lb/>
Sinne handelte, davon will ich einen Fall erza&#x0364;hlen, den<lb/>
ich gerne wiederhole.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich war ein&#x017F;t gewi&#x017F;&#x017F;er anderer Ur&#x017F;achen wegen auf<lb/>
Wolff &#x017F;ehr bo&#x0364;&#x017F;e. Er hatte Abends zu &#x017F;pielen und ich<lb/>
&#x017F;aß in meiner Loge. Jetzt, dachte ich, &#x017F;oll&#x017F;t du ihm<lb/>
doch einmal recht aufpa&#x017F;&#x017F;en; es i&#x017F;t doch heute nicht die<lb/>
Spur einer Neigung in dir, die fu&#x0364;r ihn &#x017F;prechen und<lb/>
ihn ent&#x017F;chuldigen ko&#x0364;nnte. &#x2014; Wolff &#x017F;pielte und ich wen¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0047] gen war, und den ich nun in ſeiner vollen Liebenswuͤr¬ digkeit perſoͤnlich vor Augen hatte. Biscuit und ſchoͤne Trauben wurden zum Nachtiſch aufgetragen. Letztere waren aus der Ferne geſendet und Goethe that geheimnißvoll, woher ſie gekommen. Er vertheilte ſie und reichte mir eine ſehr reife uͤber den Tiſch. „Hier, mein Guter, ſagte er, eſſen Sie von dieſen Suͤßigkeiten und ſeyn Sie vergnuͤgt.“ Ich ließ mir die Traube aus Goethe's Haͤnden wohlſchmecken und war nun mit Leib und Seele voͤllig in ſeiner Naͤhe. Man ſprach vom Theater, von Wolff's Verdien¬ ſten, und wie viel Gutes von dieſem trefflichen Kuͤnſt¬ ler ausgegangen. „Ich weiß ſehr wohl, ſagte Goethe, daß unſere hie¬ ſigen aͤlteren Schauſpieler manches von mir gelernt ha¬ ben, aber im eigentlichen Sinne kann ich doch nur Wolff meinen Schuͤler nennen. Wie ſehr er in meine Maximen eingedrungen war, und wie er in meinem Sinne handelte, davon will ich einen Fall erzaͤhlen, den ich gerne wiederhole.“ „Ich war einſt gewiſſer anderer Urſachen wegen auf Wolff ſehr boͤſe. Er hatte Abends zu ſpielen und ich ſaß in meiner Loge. Jetzt, dachte ich, ſollſt du ihm doch einmal recht aufpaſſen; es iſt doch heute nicht die Spur einer Neigung in dir, die fuͤr ihn ſprechen und ihn entſchuldigen koͤnnte. — Wolff ſpielte und ich wen¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/47
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/47>, abgerufen am 27.11.2024.