das mangelnde Liebesgefühl der Jugend mag ersetzt haben."
Wir gedachten sodann der merkwürdigen Stelle, wo Goethe über den Zustand seiner Schwester redet. "Die¬ ses Capitel, sagte er, wird von gebildeten Frauen mit Interesse gelesen werden, denn es werden viele seyn, die meiner Schwester darin gleichen, daß sie, bey vor¬ züglichen geistigen und sittlichen Eigenschaften, nicht zu¬ gleich das Glück eines schönen Körpers empfinden."
Daß sie, sagte ich, bey bevorstehenden Festlichkeiten und Bällen gewöhnlich von einem Ausschlag im Gesicht heimgesucht wurde, ist etwas so Wunderliches, daß man es der Einwirkung von etwas Dämonischem zuschreiben möchte.
"Sie war ein merkwürdiges Wesen, sagte Goethe, sie stand sittlich sehr hoch und hatte nicht die Spur von etwas Sinnlichem. Der Gedanke, sich einem Manne hinzugeben, war ihr widerwärtig, und man mag denken, daß aus dieser Eigenheit in der Ehe manche unange¬ nehme Stunde hervorging. Frauen, die eine gleiche Abneigung haben, oder ihre Männer nicht lieben, wer¬ den empfinden, was dieses sagen will. Ich konnte daher meine Schwester auch nie als verheirathet denken, vielmehr wäre sie als Äbtissin in einem Kloster recht eigentlich an ihrem Platze gewesen."
"Und da sie nun, obgleich mit einem der bravsten Männer verheirathet, in der Ehe nicht glücklich war,
das mangelnde Liebesgefuͤhl der Jugend mag erſetzt haben.“
Wir gedachten ſodann der merkwuͤrdigen Stelle, wo Goethe uͤber den Zuſtand ſeiner Schweſter redet. „Die¬ ſes Capitel, ſagte er, wird von gebildeten Frauen mit Intereſſe geleſen werden, denn es werden viele ſeyn, die meiner Schweſter darin gleichen, daß ſie, bey vor¬ zuͤglichen geiſtigen und ſittlichen Eigenſchaften, nicht zu¬ gleich das Gluͤck eines ſchoͤnen Koͤrpers empfinden.“
Daß ſie, ſagte ich, bey bevorſtehenden Feſtlichkeiten und Baͤllen gewoͤhnlich von einem Ausſchlag im Geſicht heimgeſucht wurde, iſt etwas ſo Wunderliches, daß man es der Einwirkung von etwas Daͤmoniſchem zuſchreiben moͤchte.
„Sie war ein merkwuͤrdiges Weſen, ſagte Goethe, ſie ſtand ſittlich ſehr hoch und hatte nicht die Spur von etwas Sinnlichem. Der Gedanke, ſich einem Manne hinzugeben, war ihr widerwaͤrtig, und man mag denken, daß aus dieſer Eigenheit in der Ehe manche unange¬ nehme Stunde hervorging. Frauen, die eine gleiche Abneigung haben, oder ihre Maͤnner nicht lieben, wer¬ den empfinden, was dieſes ſagen will. Ich konnte daher meine Schweſter auch nie als verheirathet denken, vielmehr waͤre ſie als Äbtiſſin in einem Kloſter recht eigentlich an ihrem Platze geweſen.“
„Und da ſie nun, obgleich mit einem der bravſten Maͤnner verheirathet, in der Ehe nicht gluͤcklich war,
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das mangelnde Liebesgefuͤhl der Jugend mag erſetzt
haben.“
Wir gedachten ſodann der merkwuͤrdigen Stelle, wo
Goethe uͤber den Zuſtand ſeiner Schweſter redet. „Die¬
ſes Capitel, ſagte er, wird von gebildeten Frauen mit
Intereſſe geleſen werden, denn es werden viele ſeyn,
die meiner Schweſter darin gleichen, daß ſie, bey vor¬
zuͤglichen geiſtigen und ſittlichen Eigenſchaften, nicht zu¬
gleich das Gluͤck eines ſchoͤnen Koͤrpers empfinden.“
Daß ſie, ſagte ich, bey bevorſtehenden Feſtlichkeiten
und Baͤllen gewoͤhnlich von einem Ausſchlag im Geſicht
heimgeſucht wurde, iſt etwas ſo Wunderliches, daß man
es der Einwirkung von etwas Daͤmoniſchem zuſchreiben
moͤchte.
„Sie war ein merkwuͤrdiges Weſen, ſagte Goethe,
ſie ſtand ſittlich ſehr hoch und hatte nicht die Spur
von etwas Sinnlichem. Der Gedanke, ſich einem Manne
hinzugeben, war ihr widerwaͤrtig, und man mag denken,
daß aus dieſer Eigenheit in der Ehe manche unange¬
nehme Stunde hervorging. Frauen, die eine gleiche
Abneigung haben, oder ihre Maͤnner nicht lieben, wer¬
den empfinden, was dieſes ſagen will. Ich konnte
daher meine Schweſter auch nie als verheirathet denken,
vielmehr waͤre ſie als Äbtiſſin in einem Kloſter recht
eigentlich an ihrem Platze geweſen.“
„Und da ſie nun, obgleich mit einem der bravſten
Maͤnner verheirathet, in der Ehe nicht gluͤcklich war,
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/341>, abgerufen am 21.11.2024.
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