Mit Goethe zu Tisch, dem ich das Manuscript vom vierten Band seines Lebens zurückbringe und darüber mancherley Gespräche habe.
Wir reden auch über den Schluß des Tell und ich gebe mein Verwundern zu erkennen, wie Schiller den Fehler habe machen können, seinen Helden durch das unedle Benehmen gegen den flüchtigen Herzog von Schwaben so herabsinken zu lassen, indem er über die¬ sen ein hartes Gericht hält, während er sich selbst mit seiner eigenen That brüstet.
"Es ist kaum begreiflich, sagte Goethe, allein Schiller war dem Einfluß von Frauen unterworfen wie Andere auch; und wenn er in diesem Fall so fehlen konnte, so geschah es mehr aus solchen Einwirkungen, als aus sei¬ ner eigenen guten Natur."
Freytag, den 18. März 1831.
Mit Goethe zu Tisch. Ich bringe ihm Daphnis und Chloe, welches er einmal wieder zu lesen wünscht.
Wir reden über höhere Maximen, und ob es gut und ob es möglich sey, sie anderen Menschen zu über¬ liefern. "Die Anlage, das Höhere aufzunehmen, sagte
Mittwoch, den 16. Maͤrz 1831.
Mit Goethe zu Tiſch, dem ich das Manuſcript vom vierten Band ſeines Lebens zuruͤckbringe und daruͤber mancherley Geſpraͤche habe.
Wir reden auch uͤber den Schluß des Tell und ich gebe mein Verwundern zu erkennen, wie Schiller den Fehler habe machen koͤnnen, ſeinen Helden durch das unedle Benehmen gegen den fluͤchtigen Herzog von Schwaben ſo herabſinken zu laſſen, indem er uͤber die¬ ſen ein hartes Gericht haͤlt, waͤhrend er ſich ſelbſt mit ſeiner eigenen That bruͤſtet.
„Es iſt kaum begreiflich, ſagte Goethe, allein Schiller war dem Einfluß von Frauen unterworfen wie Andere auch; und wenn er in dieſem Fall ſo fehlen konnte, ſo geſchah es mehr aus ſolchen Einwirkungen, als aus ſei¬ ner eigenen guten Natur.“
Freytag, den 18. Maͤrz 1831.
Mit Goethe zu Tiſch. Ich bringe ihm Daphnis und Chloe, welches er einmal wieder zu leſen wuͤnſcht.
Wir reden uͤber hoͤhere Maximen, und ob es gut und ob es moͤglich ſey, ſie anderen Menſchen zu uͤber¬ liefern. „Die Anlage, das Hoͤhere aufzunehmen, ſagte
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Mittwoch, den 16. Maͤrz 1831.
Mit Goethe zu Tiſch, dem ich das Manuſcript vom
vierten Band ſeines Lebens zuruͤckbringe und daruͤber
mancherley Geſpraͤche habe.
Wir reden auch uͤber den Schluß des Tell und ich
gebe mein Verwundern zu erkennen, wie Schiller den
Fehler habe machen koͤnnen, ſeinen Helden durch das
unedle Benehmen gegen den fluͤchtigen Herzog von
Schwaben ſo herabſinken zu laſſen, indem er uͤber die¬
ſen ein hartes Gericht haͤlt, waͤhrend er ſich ſelbſt mit
ſeiner eigenen That bruͤſtet.
„Es iſt kaum begreiflich, ſagte Goethe, allein Schiller
war dem Einfluß von Frauen unterworfen wie Andere
auch; und wenn er in dieſem Fall ſo fehlen konnte, ſo
geſchah es mehr aus ſolchen Einwirkungen, als aus ſei¬
ner eigenen guten Natur.“
Freytag, den 18. Maͤrz 1831.
Mit Goethe zu Tiſch. Ich bringe ihm Daphnis
und Chloe, welches er einmal wieder zu leſen wuͤnſcht.
Wir reden uͤber hoͤhere Maximen, und ob es gut
und ob es moͤglich ſey, ſie anderen Menſchen zu uͤber¬
liefern. „Die Anlage, das Hoͤhere aufzunehmen, ſagte
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/325>, abgerufen am 22.02.2025.
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