lassen sey, daß sie ihn vielmehr im Auge haben, an ihm Theil nehmen, und in der Noth ihm helfend zur Seite sind.
Dieser Glaube ist etwas so Natürliches, daß er zum Menschen gehört, daß er einen Bestandtheil seines We¬ sens ausmacht, und, als das Fundament aller Religion, allen Völkern angeboren ist. In den ersten menschlichen Anfängen zeigt er sich stark; er weicht aber auch der höchsten Cultur nicht, so daß wir ihn unter den Grie¬ chen noch groß in Plato sehen, und zuletzt noch eben so glänzend in dem Verfasser von Daphnis und Chloe. In diesem liebenswürdigen Gedicht waltet das Göttliche unter der Form von Pan und den Nymphen, die an frommen Hirten und Liebenden Theil nehmen, welche sie am Tage schützen und retten, und denen sie Nachts im Traum erscheinen und ihnen sagen was zu thun sey. In Goethe's Novelle ist dieses behütende Unsichtbare unter der Form des Ewigen und der Engel gedacht, die einst in der Grube, unter grimmigen Lö¬ wen, den Propheten bewahrten, und die hier, in der Nähe eines ähnlichen Ungeheuers, ein gutes Kind schützend umgeben. Der Löwe zerreißt den Knaben nicht, er zeigt sich vielmehr sanft und willig; denn die in alle Ewig¬ keit fort thätigen höheren Wesen sind vermittelnd im Spiele.
Damit aber dieses einem ungläubigen neunzehnten Jahrhundert nicht zu wunderbar erscheine, so benutzt der
laſſen ſey, daß ſie ihn vielmehr im Auge haben, an ihm Theil nehmen, und in der Noth ihm helfend zur Seite ſind.
Dieſer Glaube iſt etwas ſo Natuͤrliches, daß er zum Menſchen gehoͤrt, daß er einen Beſtandtheil ſeines We¬ ſens ausmacht, und, als das Fundament aller Religion, allen Voͤlkern angeboren iſt. In den erſten menſchlichen Anfaͤngen zeigt er ſich ſtark; er weicht aber auch der hoͤchſten Cultur nicht, ſo daß wir ihn unter den Grie¬ chen noch groß in Plato ſehen, und zuletzt noch eben ſo glaͤnzend in dem Verfaſſer von Daphnis und Chloe. In dieſem liebenswuͤrdigen Gedicht waltet das Goͤttliche unter der Form von Pan und den Nymphen, die an frommen Hirten und Liebenden Theil nehmen, welche ſie am Tage ſchuͤtzen und retten, und denen ſie Nachts im Traum erſcheinen und ihnen ſagen was zu thun ſey. In Goethe's Novelle iſt dieſes behuͤtende Unſichtbare unter der Form des Ewigen und der Engel gedacht, die einſt in der Grube, unter grimmigen Loͤ¬ wen, den Propheten bewahrten, und die hier, in der Naͤhe eines aͤhnlichen Ungeheuers, ein gutes Kind ſchuͤtzend umgeben. Der Loͤwe zerreißt den Knaben nicht, er zeigt ſich vielmehr ſanft und willig; denn die in alle Ewig¬ keit fort thaͤtigen hoͤheren Weſen ſind vermittelnd im Spiele.
Damit aber dieſes einem unglaͤubigen neunzehnten Jahrhundert nicht zu wunderbar erſcheine, ſo benutzt der
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ihm Theil nehmen, und in der Noth ihm helfend zur
Seite ſind.
Dieſer Glaube iſt etwas ſo Natuͤrliches, daß er zum
Menſchen gehoͤrt, daß er einen Beſtandtheil ſeines We¬
ſens ausmacht, und, als das Fundament aller Religion,
allen Voͤlkern angeboren iſt. In den erſten menſchlichen
Anfaͤngen zeigt er ſich ſtark; er weicht aber auch der
hoͤchſten Cultur nicht, ſo daß wir ihn unter den Grie¬
chen noch groß in Plato ſehen, und zuletzt noch eben
ſo glaͤnzend in dem Verfaſſer von Daphnis und
Chloe. In dieſem liebenswuͤrdigen Gedicht waltet das
Goͤttliche unter der Form von Pan und den Nymphen,
die an frommen Hirten und Liebenden Theil nehmen,
welche ſie am Tage ſchuͤtzen und retten, und denen ſie
Nachts im Traum erſcheinen und ihnen ſagen was zu
thun ſey. In Goethe's Novelle iſt dieſes behuͤtende
Unſichtbare unter der Form des Ewigen und der Engel
gedacht, die einſt in der Grube, unter grimmigen Loͤ¬
wen, den Propheten bewahrten, und die hier, in der
Naͤhe eines aͤhnlichen Ungeheuers, ein gutes Kind ſchuͤtzend
umgeben. Der Loͤwe zerreißt den Knaben nicht, er zeigt
ſich vielmehr ſanft und willig; denn die in alle Ewig¬
keit fort thaͤtigen hoͤheren Weſen ſind vermittelnd im
Spiele.
Damit aber dieſes einem unglaͤubigen neunzehnten
Jahrhundert nicht zu wunderbar erſcheine, ſo benutzt der
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/323>, abgerufen am 24.11.2024.
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