Heute bey Goethe zu Tisch, kam das Gespräch bald wieder auf das Dämonische, und er fügte zu dessen nä¬ heren Bezeichnung noch Folgendes hinzu.
"Das Dämonische, sagte er, ist dasjenige, was durch Verstand und Vernunft nicht aufzulösen ist. In meiner Natur liegt es nicht, aber ich bin ihm unter¬ worfen."
Napoleon, sagte ich, scheint dämonischer Art ge¬ wesen zu seyn. "Er war es durchaus, sagte Goethe, im höchsten Grade, so daß kaum ein Anderer ihm zu vergleichen ist. Auch der verstorbene Großherzog war eine dämonische Natur, voll unbegrenzter Thatkraft und Unruhe, so daß sein eigenes Reich ihm zu klein war, und das größte ihm zu klein gewesen wäre. Dä¬ monische Wesen solcher Art rechneten die Griechen unter die Halbgötter."
Erscheint nicht auch, sagte ich, das Dämonische in den Begebenheiten? "Ganz besonders, sagte Goethe, und zwar in allen, die wir durch Verstand und Ver¬ nunft nicht aufzulösen vermögen. Überhaupt mani¬ festirt es sich auf die verschiedenste Weise in der gan¬ zen Natur, in der unsichtbaren wie in der sichtbaren. Manche Geschöpfe sind ganz dämonischer Art, in man¬ chen sind Theile von ihm wirksam."
Hat nicht auch, sagte ich, der Mephistopheles dä¬ monische Züge? -- "Nein, sagte Goethe; der Mephi¬
Mittwoch, den 2. Maͤrz 1831.
Heute bey Goethe zu Tiſch, kam das Geſpraͤch bald wieder auf das Daͤmoniſche, und er fuͤgte zu deſſen naͤ¬ heren Bezeichnung noch Folgendes hinzu.
„Das Daͤmoniſche, ſagte er, iſt dasjenige, was durch Verſtand und Vernunft nicht aufzuloͤſen iſt. In meiner Natur liegt es nicht, aber ich bin ihm unter¬ worfen.“
Napoleon, ſagte ich, ſcheint daͤmoniſcher Art ge¬ weſen zu ſeyn. „Er war es durchaus, ſagte Goethe, im hoͤchſten Grade, ſo daß kaum ein Anderer ihm zu vergleichen iſt. Auch der verſtorbene Großherzog war eine daͤmoniſche Natur, voll unbegrenzter Thatkraft und Unruhe, ſo daß ſein eigenes Reich ihm zu klein war, und das groͤßte ihm zu klein geweſen waͤre. Daͤ¬ moniſche Weſen ſolcher Art rechneten die Griechen unter die Halbgoͤtter.“
Erſcheint nicht auch, ſagte ich, das Daͤmoniſche in den Begebenheiten? „Ganz beſonders, ſagte Goethe, und zwar in allen, die wir durch Verſtand und Ver¬ nunft nicht aufzuloͤſen vermoͤgen. Überhaupt mani¬ feſtirt es ſich auf die verſchiedenſte Weiſe in der gan¬ zen Natur, in der unſichtbaren wie in der ſichtbaren. Manche Geſchoͤpfe ſind ganz daͤmoniſcher Art, in man¬ chen ſind Theile von ihm wirkſam.“
Hat nicht auch, ſagte ich, der Mephiſtopheles daͤ¬ moniſche Zuͤge? — „Nein, ſagte Goethe; der Mephi¬
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0308"n="298"/></div><divn="4"><datelinerendition="#right">Mittwoch, den 2. Maͤrz 1831.<lb/></dateline><p>Heute bey Goethe zu Tiſch, kam das Geſpraͤch bald<lb/>
wieder auf das Daͤmoniſche, und er fuͤgte zu deſſen naͤ¬<lb/>
heren Bezeichnung noch Folgendes hinzu.</p><lb/><p>„Das Daͤmoniſche, ſagte er, iſt dasjenige, was<lb/>
durch Verſtand und Vernunft nicht aufzuloͤſen iſt. In<lb/>
meiner Natur liegt es nicht, aber ich bin ihm unter¬<lb/>
worfen.“</p><lb/><p><hirendition="#g">Napoleon</hi>, ſagte ich, ſcheint daͤmoniſcher Art ge¬<lb/>
weſen zu ſeyn. „Er war es durchaus, ſagte Goethe,<lb/>
im hoͤchſten Grade, ſo daß kaum ein Anderer ihm zu<lb/>
vergleichen iſt. Auch der verſtorbene <hirendition="#g">Großherzog</hi><lb/>
war eine daͤmoniſche Natur, voll unbegrenzter Thatkraft<lb/>
und Unruhe, ſo daß ſein eigenes Reich ihm zu klein<lb/>
war, und das groͤßte ihm zu klein geweſen waͤre. Daͤ¬<lb/>
moniſche Weſen ſolcher Art rechneten die Griechen unter<lb/>
die Halbgoͤtter.“</p><lb/><p>Erſcheint nicht auch, ſagte ich, das Daͤmoniſche in<lb/>
den Begebenheiten? „Ganz beſonders, ſagte Goethe,<lb/>
und zwar in allen, die wir durch Verſtand und Ver¬<lb/>
nunft nicht aufzuloͤſen vermoͤgen. Überhaupt mani¬<lb/>
feſtirt es ſich auf die verſchiedenſte Weiſe in der gan¬<lb/>
zen Natur, in der unſichtbaren wie in der ſichtbaren.<lb/>
Manche Geſchoͤpfe ſind ganz daͤmoniſcher Art, in man¬<lb/>
chen ſind Theile von ihm wirkſam.“</p><lb/><p>Hat nicht auch, ſagte ich, der Mephiſtopheles daͤ¬<lb/>
moniſche Zuͤge? —„Nein, ſagte Goethe; der Mephi¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[298/0308]
Mittwoch, den 2. Maͤrz 1831.
Heute bey Goethe zu Tiſch, kam das Geſpraͤch bald
wieder auf das Daͤmoniſche, und er fuͤgte zu deſſen naͤ¬
heren Bezeichnung noch Folgendes hinzu.
„Das Daͤmoniſche, ſagte er, iſt dasjenige, was
durch Verſtand und Vernunft nicht aufzuloͤſen iſt. In
meiner Natur liegt es nicht, aber ich bin ihm unter¬
worfen.“
Napoleon, ſagte ich, ſcheint daͤmoniſcher Art ge¬
weſen zu ſeyn. „Er war es durchaus, ſagte Goethe,
im hoͤchſten Grade, ſo daß kaum ein Anderer ihm zu
vergleichen iſt. Auch der verſtorbene Großherzog
war eine daͤmoniſche Natur, voll unbegrenzter Thatkraft
und Unruhe, ſo daß ſein eigenes Reich ihm zu klein
war, und das groͤßte ihm zu klein geweſen waͤre. Daͤ¬
moniſche Weſen ſolcher Art rechneten die Griechen unter
die Halbgoͤtter.“
Erſcheint nicht auch, ſagte ich, das Daͤmoniſche in
den Begebenheiten? „Ganz beſonders, ſagte Goethe,
und zwar in allen, die wir durch Verſtand und Ver¬
nunft nicht aufzuloͤſen vermoͤgen. Überhaupt mani¬
feſtirt es ſich auf die verſchiedenſte Weiſe in der gan¬
zen Natur, in der unſichtbaren wie in der ſichtbaren.
Manche Geſchoͤpfe ſind ganz daͤmoniſcher Art, in man¬
chen ſind Theile von ihm wirkſam.“
Hat nicht auch, ſagte ich, der Mephiſtopheles daͤ¬
moniſche Zuͤge? — „Nein, ſagte Goethe; der Mephi¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/308>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.