Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

lichen Fällen immer Character zeige, und der noch kürz¬
lich, bey dem Zweifel eines Gerichtes, ob eine gewisse
Kindesmörderin für zurechnungsfähig zu halten, sein
Zeugniß dahin ausgestellt habe, daß sie es allerdings sey.


Mit Goethe zu Tisch. Er eröffnet mir, daß er
meine Beobachtung über die blauen Schatten im Schnee,
daß sie nämlich aus dem Wiederschein des blauen Him¬
mels entstehen, geprüft habe und für richtig anerkenne.
"Es kann jedoch Beydes zugleich wirken, sagte er, und
die durch das gelbliche Licht erregte Forderung kann die
blaue Erscheinung verstärken." Ich gebe dieses vollkom¬
men zu, und freue mich daß Goethe mir endlich bey¬
stimmet.

Es ärgert mich nur, sagte ich, daß ich meine Far¬
benbeobachtungen am Monterosa und Montblanc nicht
an Ort und Stelle im Detail niedergeschrieben habe.
Das Hauptresultat jedoch war, daß in einer Entfernung
von achtzehn bis zwanzig Stunden, Mittags bei der
hellesten Sonne, der Schnee gelb, ja röthlich gelb er¬
schien, während die schneefreyen dunkelen Theile des
Gebirgs im entschiedensten Blau herübersahen. Das
Phänomen überraschte mich nicht, indem ich mir hätte

lichen Faͤllen immer Character zeige, und der noch kuͤrz¬
lich, bey dem Zweifel eines Gerichtes, ob eine gewiſſe
Kindesmoͤrderin fuͤr zurechnungsfaͤhig zu halten, ſein
Zeugniß dahin ausgeſtellt habe, daß ſie es allerdings ſey.


Mit Goethe zu Tiſch. Er eroͤffnet mir, daß er
meine Beobachtung uͤber die blauen Schatten im Schnee,
daß ſie naͤmlich aus dem Wiederſchein des blauen Him¬
mels entſtehen, gepruͤft habe und fuͤr richtig anerkenne.
„Es kann jedoch Beydes zugleich wirken, ſagte er, und
die durch das gelbliche Licht erregte Forderung kann die
blaue Erſcheinung verſtaͤrken.“ Ich gebe dieſes vollkom¬
men zu, und freue mich daß Goethe mir endlich bey¬
ſtimmet.

Es aͤrgert mich nur, ſagte ich, daß ich meine Far¬
benbeobachtungen am Monteroſa und Montblanc nicht
an Ort und Stelle im Detail niedergeſchrieben habe.
Das Hauptreſultat jedoch war, daß in einer Entfernung
von achtzehn bis zwanzig Stunden, Mittags bei der
helleſten Sonne, der Schnee gelb, ja roͤthlich gelb er¬
ſchien, waͤhrend die ſchneefreyen dunkelen Theile des
Gebirgs im entſchiedenſten Blau heruͤberſahen. Das
Phaͤnomen uͤberraſchte mich nicht, indem ich mir haͤtte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0290" n="280"/>
lichen Fa&#x0364;llen immer Character zeige, und der noch ku&#x0364;rz¬<lb/>
lich, bey dem Zweifel eines Gerichtes, ob eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Kindesmo&#x0364;rderin fu&#x0364;r zurechnungsfa&#x0364;hig zu halten, &#x017F;ein<lb/>
Zeugniß dahin ausge&#x017F;tellt habe, daß &#x017F;ie es allerdings &#x017F;ey.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Sonntag, den 20. Februar 1831.<lb/></dateline>
          <p>Mit Goethe zu Ti&#x017F;ch. Er ero&#x0364;ffnet mir, daß er<lb/>
meine Beobachtung u&#x0364;ber die blauen Schatten im Schnee,<lb/>
daß &#x017F;ie na&#x0364;mlich aus dem Wieder&#x017F;chein des blauen Him¬<lb/>
mels ent&#x017F;tehen, gepru&#x0364;ft habe und fu&#x0364;r richtig anerkenne.<lb/>
&#x201E;Es kann jedoch Beydes zugleich wirken, &#x017F;agte er, und<lb/>
die durch das gelbliche Licht erregte Forderung kann die<lb/>
blaue Er&#x017F;cheinung ver&#x017F;ta&#x0364;rken.&#x201C; Ich gebe die&#x017F;es vollkom¬<lb/>
men zu, und freue mich daß Goethe mir endlich bey¬<lb/>
&#x017F;timmet.</p><lb/>
          <p>Es a&#x0364;rgert mich nur, &#x017F;agte ich, daß ich meine Far¬<lb/>
benbeobachtungen am Montero&#x017F;a und Montblanc nicht<lb/>
an Ort und Stelle im Detail niederge&#x017F;chrieben habe.<lb/>
Das Hauptre&#x017F;ultat jedoch war, daß in einer Entfernung<lb/>
von achtzehn bis zwanzig Stunden, Mittags bei der<lb/>
helle&#x017F;ten Sonne, der Schnee gelb, ja ro&#x0364;thlich gelb er¬<lb/>
&#x017F;chien, wa&#x0364;hrend die &#x017F;chneefreyen dunkelen Theile des<lb/>
Gebirgs im ent&#x017F;chieden&#x017F;ten Blau heru&#x0364;ber&#x017F;ahen. Das<lb/>
Pha&#x0364;nomen u&#x0364;berra&#x017F;chte mich nicht, indem ich mir ha&#x0364;tte<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0290] lichen Faͤllen immer Character zeige, und der noch kuͤrz¬ lich, bey dem Zweifel eines Gerichtes, ob eine gewiſſe Kindesmoͤrderin fuͤr zurechnungsfaͤhig zu halten, ſein Zeugniß dahin ausgeſtellt habe, daß ſie es allerdings ſey. Sonntag, den 20. Februar 1831. Mit Goethe zu Tiſch. Er eroͤffnet mir, daß er meine Beobachtung uͤber die blauen Schatten im Schnee, daß ſie naͤmlich aus dem Wiederſchein des blauen Him¬ mels entſtehen, gepruͤft habe und fuͤr richtig anerkenne. „Es kann jedoch Beydes zugleich wirken, ſagte er, und die durch das gelbliche Licht erregte Forderung kann die blaue Erſcheinung verſtaͤrken.“ Ich gebe dieſes vollkom¬ men zu, und freue mich daß Goethe mir endlich bey¬ ſtimmet. Es aͤrgert mich nur, ſagte ich, daß ich meine Far¬ benbeobachtungen am Monteroſa und Montblanc nicht an Ort und Stelle im Detail niedergeſchrieben habe. Das Hauptreſultat jedoch war, daß in einer Entfernung von achtzehn bis zwanzig Stunden, Mittags bei der helleſten Sonne, der Schnee gelb, ja roͤthlich gelb er¬ ſchien, waͤhrend die ſchneefreyen dunkelen Theile des Gebirgs im entſchiedenſten Blau heruͤberſahen. Das Phaͤnomen uͤberraſchte mich nicht, indem ich mir haͤtte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/290
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/290>, abgerufen am 23.11.2024.