Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

so daß also die frischeste Jugendkraft der Eltern seinem
physischen Theile zu Gute kam. Neben ihm gebiert sie
drey andere Söhne, alle bedeutend begabt, tüchtig und
energisch in weltlichen Dingen und alle mit einem ge¬
wissen poetischen Talent. Auf solche vier Söhne folgen
drey Töchter, und zuletzt Jerome, der am schwächsten
von Allen ausgestattet gewesen zu seyn scheint.

Das Talent ist freylich nicht erblich, allein es will
eine tüchtige physische Unterlage, und da ist es denn
keineswegs einerley, ob jemand der Erst- oder Letztge¬
borene, und ob er von kräftigen und jungen, oder von
schwachen und alten Eltern ist gezeugt worden.

Merkwürdig ist, sagte ich, daß sich von allen Ta¬
lenten das musikalische am frühesten zeigt, so daß
Mozart in seinem fünften, Beethoven in seinem
achten, und Hummel in seinem neunten Jahre schon
die nächste Umgebung durch Spiel und Compositionen
in Erstaunen setzten.

"Das musikalische Talent, sagte Goethe, kann sich
wohl am frühesten zeigen, indem die Musik ganz etwas
Angeborenes, Inneres ist, das von Außen keiner großen
Nahrung und keiner aus dem Leben gezogenen Erfah¬
rung bedarf. Aber freylich, eine Erscheinung wie Mo¬
zart, bleibt immer ein Wunder, das nicht weiter zu er¬
klären ist. Doch wie wollte die Gottheit überall Wunder
zu thun Gelegenheit finden, wenn sie es nicht zuweilen

ſo daß alſo die friſcheſte Jugendkraft der Eltern ſeinem
phyſiſchen Theile zu Gute kam. Neben ihm gebiert ſie
drey andere Soͤhne, alle bedeutend begabt, tuͤchtig und
energiſch in weltlichen Dingen und alle mit einem ge¬
wiſſen poetiſchen Talent. Auf ſolche vier Soͤhne folgen
drey Toͤchter, und zuletzt Jerome, der am ſchwaͤchſten
von Allen ausgeſtattet geweſen zu ſeyn ſcheint.

Das Talent iſt freylich nicht erblich, allein es will
eine tuͤchtige phyſiſche Unterlage, und da iſt es denn
keineswegs einerley, ob jemand der Erſt- oder Letztge¬
borene, und ob er von kraͤftigen und jungen, oder von
ſchwachen und alten Eltern iſt gezeugt worden.

Merkwuͤrdig iſt, ſagte ich, daß ſich von allen Ta¬
lenten das muſikaliſche am fruͤheſten zeigt, ſo daß
Mozart in ſeinem fuͤnften, Beethoven in ſeinem
achten, und Hummel in ſeinem neunten Jahre ſchon
die naͤchſte Umgebung durch Spiel und Compoſitionen
in Erſtaunen ſetzten.

„Das muſikaliſche Talent, ſagte Goethe, kann ſich
wohl am fruͤheſten zeigen, indem die Muſik ganz etwas
Angeborenes, Inneres iſt, das von Außen keiner großen
Nahrung und keiner aus dem Leben gezogenen Erfah¬
rung bedarf. Aber freylich, eine Erſcheinung wie Mo¬
zart, bleibt immer ein Wunder, das nicht weiter zu er¬
klaͤren iſt. Doch wie wollte die Gottheit uͤberall Wunder
zu thun Gelegenheit finden, wenn ſie es nicht zuweilen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0280" n="270"/>
&#x017F;o daß al&#x017F;o die fri&#x017F;che&#x017F;te Jugendkraft der Eltern &#x017F;einem<lb/>
phy&#x017F;i&#x017F;chen Theile zu Gute kam. Neben ihm gebiert &#x017F;ie<lb/>
drey andere So&#x0364;hne, alle bedeutend begabt, tu&#x0364;chtig und<lb/>
energi&#x017F;ch in weltlichen Dingen und alle mit einem ge¬<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en poeti&#x017F;chen Talent. Auf &#x017F;olche vier So&#x0364;hne folgen<lb/>
drey To&#x0364;chter, und zuletzt Jerome, der am &#x017F;chwa&#x0364;ch&#x017F;ten<lb/>
von Allen ausge&#x017F;tattet gewe&#x017F;en zu &#x017F;eyn &#x017F;cheint.</p><lb/>
          <p>Das Talent i&#x017F;t freylich nicht erblich, allein es will<lb/>
eine tu&#x0364;chtige phy&#x017F;i&#x017F;che Unterlage, und da i&#x017F;t es denn<lb/>
keineswegs einerley, ob jemand der Er&#x017F;t- oder Letztge¬<lb/>
borene, und ob er von kra&#x0364;ftigen und jungen, oder von<lb/>
&#x017F;chwachen und alten Eltern i&#x017F;t gezeugt worden.</p><lb/>
          <p>Merkwu&#x0364;rdig i&#x017F;t, &#x017F;agte ich, daß &#x017F;ich von allen Ta¬<lb/>
lenten das <hi rendition="#g">mu&#x017F;ikali&#x017F;che</hi> am fru&#x0364;he&#x017F;ten zeigt, &#x017F;o daß<lb/><hi rendition="#g">Mozart</hi> in &#x017F;einem fu&#x0364;nften, <hi rendition="#g">Beethoven</hi> in &#x017F;einem<lb/>
achten, und <hi rendition="#g">Hummel</hi> in &#x017F;einem neunten Jahre &#x017F;chon<lb/>
die na&#x0364;ch&#x017F;te Umgebung durch Spiel und Compo&#x017F;itionen<lb/>
in Er&#x017F;taunen &#x017F;etzten.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Das mu&#x017F;ikali&#x017F;che Talent, &#x017F;agte Goethe, kann &#x017F;ich<lb/>
wohl am fru&#x0364;he&#x017F;ten zeigen, indem die Mu&#x017F;ik ganz etwas<lb/>
Angeborenes, Inneres i&#x017F;t, das von Außen keiner großen<lb/>
Nahrung und keiner aus dem Leben gezogenen Erfah¬<lb/>
rung bedarf. Aber freylich, eine Er&#x017F;cheinung wie Mo¬<lb/>
zart, bleibt immer ein Wunder, das nicht weiter zu er¬<lb/>
kla&#x0364;ren i&#x017F;t. Doch wie wollte die Gottheit u&#x0364;berall Wunder<lb/>
zu thun Gelegenheit finden, wenn &#x017F;ie es nicht zuweilen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0280] ſo daß alſo die friſcheſte Jugendkraft der Eltern ſeinem phyſiſchen Theile zu Gute kam. Neben ihm gebiert ſie drey andere Soͤhne, alle bedeutend begabt, tuͤchtig und energiſch in weltlichen Dingen und alle mit einem ge¬ wiſſen poetiſchen Talent. Auf ſolche vier Soͤhne folgen drey Toͤchter, und zuletzt Jerome, der am ſchwaͤchſten von Allen ausgeſtattet geweſen zu ſeyn ſcheint. Das Talent iſt freylich nicht erblich, allein es will eine tuͤchtige phyſiſche Unterlage, und da iſt es denn keineswegs einerley, ob jemand der Erſt- oder Letztge¬ borene, und ob er von kraͤftigen und jungen, oder von ſchwachen und alten Eltern iſt gezeugt worden. Merkwuͤrdig iſt, ſagte ich, daß ſich von allen Ta¬ lenten das muſikaliſche am fruͤheſten zeigt, ſo daß Mozart in ſeinem fuͤnften, Beethoven in ſeinem achten, und Hummel in ſeinem neunten Jahre ſchon die naͤchſte Umgebung durch Spiel und Compoſitionen in Erſtaunen ſetzten. „Das muſikaliſche Talent, ſagte Goethe, kann ſich wohl am fruͤheſten zeigen, indem die Muſik ganz etwas Angeborenes, Inneres iſt, das von Außen keiner großen Nahrung und keiner aus dem Leben gezogenen Erfah¬ rung bedarf. Aber freylich, eine Erſcheinung wie Mo¬ zart, bleibt immer ein Wunder, das nicht weiter zu er¬ klaͤren iſt. Doch wie wollte die Gottheit uͤberall Wunder zu thun Gelegenheit finden, wenn ſie es nicht zuweilen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/280
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/280>, abgerufen am 25.11.2024.