Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Heute nach Tisch besprach ich mit Goethe die vor¬
stehende Angelegenheit punctweise, wo er denn diesen
meinen Vorschlägen seine beyfällige Zustimmung gab.
"Ich werde, sagte er, in meinem Testament Sie zum
Herausgeber dieser Briefe ernennen, und darauf hin¬
deuten, daß wir über das dabey zu beobachtende Ver¬
fahren im Allgemeinen mit einander einig geworden."


Ich las gestern mit dem Prinzen in Vossens
Luise
weiter und hatte über das Buch für mich im
Stillen Manches zu bemerken. Die großen Verdienste
der Darstellung der Localität und äußeren Zustände der
Personen entzückten mich; jedoch wollte mir erscheinen,
daß das Gedicht eines höheren Gehaltes entbehre, welche
Bemerkung sich mir besonders an solchen Stellen auf¬
drang, wo die Personen in wechselseitigen Reden ihr
Inneres auszusprechen in dem Fall sind. Im Vicar of
Wakefield
ist auch ein Landprediger mit seiner Familie
dargestellt, allein der Poet besaß eine höhere Weltcultur,
und so hat sich dieses auch seinen Personen mitgetheilt,
die alle ein mannigfaltigeres Innere an den Tag legen.
In der Luise steht Alles auf dem Niveau einer be¬
schränkten mittleren Cultur, und so ist freylich immer

17*

Heute nach Tiſch beſprach ich mit Goethe die vor¬
ſtehende Angelegenheit punctweiſe, wo er denn dieſen
meinen Vorſchlaͤgen ſeine beyfaͤllige Zuſtimmung gab.
„Ich werde, ſagte er, in meinem Teſtament Sie zum
Herausgeber dieſer Briefe ernennen, und darauf hin¬
deuten, daß wir uͤber das dabey zu beobachtende Ver¬
fahren im Allgemeinen mit einander einig geworden.“


Ich las geſtern mit dem Prinzen in Voſſens
Luiſe
weiter und hatte uͤber das Buch fuͤr mich im
Stillen Manches zu bemerken. Die großen Verdienſte
der Darſtellung der Localitaͤt und aͤußeren Zuſtaͤnde der
Perſonen entzuͤckten mich; jedoch wollte mir erſcheinen,
daß das Gedicht eines hoͤheren Gehaltes entbehre, welche
Bemerkung ſich mir beſonders an ſolchen Stellen auf¬
drang, wo die Perſonen in wechſelſeitigen Reden ihr
Inneres auszuſprechen in dem Fall ſind. Im Vicar of
Wakefield
iſt auch ein Landprediger mit ſeiner Familie
dargeſtellt, allein der Poet beſaß eine hoͤhere Weltcultur,
und ſo hat ſich dieſes auch ſeinen Perſonen mitgetheilt,
die alle ein mannigfaltigeres Innere an den Tag legen.
In der Luiſe ſteht Alles auf dem Niveau einer be¬
ſchraͤnkten mittleren Cultur, und ſo iſt freylich immer

17*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <div n="5">
            <pb facs="#f0269" n="259"/>
            <p>Heute nach Ti&#x017F;ch be&#x017F;prach ich mit Goethe die vor¬<lb/>
&#x017F;tehende Angelegenheit punctwei&#x017F;e, wo er denn die&#x017F;en<lb/>
meinen Vor&#x017F;chla&#x0364;gen &#x017F;eine beyfa&#x0364;llige Zu&#x017F;timmung gab.<lb/>
&#x201E;Ich werde, &#x017F;agte er, in meinem Te&#x017F;tament Sie zum<lb/>
Herausgeber die&#x017F;er Briefe ernennen, und darauf hin¬<lb/>
deuten, daß wir u&#x0364;ber das dabey zu beobachtende Ver¬<lb/>
fahren im Allgemeinen mit einander einig geworden.&#x201C;</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Mittwoch, den 9. Februar 1831.<lb/></dateline>
          <p>Ich las ge&#x017F;tern mit dem Prinzen in <hi rendition="#g">Vo&#x017F;&#x017F;ens<lb/>
Lui&#x017F;e</hi> weiter und hatte u&#x0364;ber das Buch fu&#x0364;r mich im<lb/>
Stillen Manches zu bemerken. Die großen Verdien&#x017F;te<lb/>
der Dar&#x017F;tellung der Localita&#x0364;t und a&#x0364;ußeren Zu&#x017F;ta&#x0364;nde der<lb/>
Per&#x017F;onen entzu&#x0364;ckten mich; jedoch wollte mir er&#x017F;cheinen,<lb/>
daß das Gedicht eines ho&#x0364;heren Gehaltes entbehre, welche<lb/>
Bemerkung &#x017F;ich mir be&#x017F;onders an &#x017F;olchen Stellen auf¬<lb/>
drang, wo die Per&#x017F;onen in wech&#x017F;el&#x017F;eitigen Reden ihr<lb/>
Inneres auszu&#x017F;prechen in dem Fall &#x017F;ind. Im <hi rendition="#aq">Vicar of<lb/>
Wakefield</hi> i&#x017F;t auch ein Landprediger mit &#x017F;einer Familie<lb/>
darge&#x017F;tellt, allein der Poet be&#x017F;aß eine ho&#x0364;here Weltcultur,<lb/>
und &#x017F;o hat &#x017F;ich die&#x017F;es auch &#x017F;einen Per&#x017F;onen mitgetheilt,<lb/>
die alle ein mannigfaltigeres Innere an den Tag legen.<lb/>
In der <hi rendition="#g">Lui&#x017F;e</hi> &#x017F;teht Alles auf dem Niveau einer be¬<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nkten mittleren Cultur, und &#x017F;o i&#x017F;t freylich immer<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">17*<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[259/0269] Heute nach Tiſch beſprach ich mit Goethe die vor¬ ſtehende Angelegenheit punctweiſe, wo er denn dieſen meinen Vorſchlaͤgen ſeine beyfaͤllige Zuſtimmung gab. „Ich werde, ſagte er, in meinem Teſtament Sie zum Herausgeber dieſer Briefe ernennen, und darauf hin¬ deuten, daß wir uͤber das dabey zu beobachtende Ver¬ fahren im Allgemeinen mit einander einig geworden.“ Mittwoch, den 9. Februar 1831. Ich las geſtern mit dem Prinzen in Voſſens Luiſe weiter und hatte uͤber das Buch fuͤr mich im Stillen Manches zu bemerken. Die großen Verdienſte der Darſtellung der Localitaͤt und aͤußeren Zuſtaͤnde der Perſonen entzuͤckten mich; jedoch wollte mir erſcheinen, daß das Gedicht eines hoͤheren Gehaltes entbehre, welche Bemerkung ſich mir beſonders an ſolchen Stellen auf¬ drang, wo die Perſonen in wechſelſeitigen Reden ihr Inneres auszuſprechen in dem Fall ſind. Im Vicar of Wakefield iſt auch ein Landprediger mit ſeiner Familie dargeſtellt, allein der Poet beſaß eine hoͤhere Weltcultur, und ſo hat ſich dieſes auch ſeinen Perſonen mitgetheilt, die alle ein mannigfaltigeres Innere an den Tag legen. In der Luiſe ſteht Alles auf dem Niveau einer be¬ ſchraͤnkten mittleren Cultur, und ſo iſt freylich immer 17*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/269
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/269>, abgerufen am 22.12.2024.