die letzte Lieferung fertig zu machen. "Hiebey aber, sagte er, bin ich klug gewesen, daß ich aufgehört habe, wo ich noch in gutem Zuge war, und noch viel bereits Erfundenes zu sagen hatte. Auf diese Weise läßt sich viel leichter wieder anknüpfen, als wenn ich so lange fortgeschrieben hätte bis es stockte." Ich merkte mir dieses als eine gute Lehre.
Es war die Absicht gewesen, vor Tisch eine Spazier¬ fahrt zu machen; allein wir fanden es beyderseits so angenehm im Zimmer, daß die Pferde abbestellt wurden.
Unterdessen hatte der Bediente Friedrich eine große von Paris angekommene Kiste ausgepackt. Es war eine Sendung vom Bildhauer David, in Gips abge¬ gossene Portraits, Basreliefs, von sieben und funfzig berühmten Personen. Friedrich trug die Abgüsse in ver¬ schiedenen Schiebläden herein, und es gab große Unter¬ haltung, alle die interessanten Persönlichkeiten zu be¬ trachten. Besonders erwartungsvoll war ich auf Me¬ rimee; der Kopf erschien so kräftig und verwegen, wie sein Talent, und Goethe bemerkte, daß er etwas Hu¬ moristisches habe. Victor Hugo, Alfred de Vigny, Emile Deschamps, zeigten sich als reine, freye, heitere Köpfe. Auch erfreuten uns die Portraits der Demoiselle Gay, der Madame Tastü und anderer jun¬ ger Schriftstellerinnen. Das kräftige Bild von Fabvier erinnerte an Menschen früherer Jahrhunderte, und wir hatten Genuß, es wiederholt zu betrachten. So gingen
13 *
die letzte Lieferung fertig zu machen. „Hiebey aber, ſagte er, bin ich klug geweſen, daß ich aufgehoͤrt habe, wo ich noch in gutem Zuge war, und noch viel bereits Erfundenes zu ſagen hatte. Auf dieſe Weiſe laͤßt ſich viel leichter wieder anknuͤpfen, als wenn ich ſo lange fortgeſchrieben haͤtte bis es ſtockte.“ Ich merkte mir dieſes als eine gute Lehre.
Es war die Abſicht geweſen, vor Tiſch eine Spazier¬ fahrt zu machen; allein wir fanden es beyderſeits ſo angenehm im Zimmer, daß die Pferde abbeſtellt wurden.
Unterdeſſen hatte der Bediente Friedrich eine große von Paris angekommene Kiſte ausgepackt. Es war eine Sendung vom Bildhauer David, in Gips abge¬ goſſene Portraits, Basreliefs, von ſieben und funfzig beruͤhmten Perſonen. Friedrich trug die Abguͤſſe in ver¬ ſchiedenen Schieblaͤden herein, und es gab große Unter¬ haltung, alle die intereſſanten Perſoͤnlichkeiten zu be¬ trachten. Beſonders erwartungsvoll war ich auf Mé¬ rimée; der Kopf erſchien ſo kraͤftig und verwegen, wie ſein Talent, und Goethe bemerkte, daß er etwas Hu¬ moriſtiſches habe. Victor Hugo, Alfred de Vigny, Emile Deschamps, zeigten ſich als reine, freye, heitere Koͤpfe. Auch erfreuten uns die Portraits der Demoiſelle Gay, der Madame Taſtuͤ und anderer jun¬ ger Schriftſtellerinnen. Das kraͤftige Bild von Fabvier erinnerte an Menſchen fruͤherer Jahrhunderte, und wir hatten Genuß, es wiederholt zu betrachten. So gingen
13 *
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0205"n="195"/>
die letzte Lieferung fertig zu machen. „Hiebey aber,<lb/>ſagte er, bin ich klug geweſen, daß ich aufgehoͤrt habe,<lb/>
wo ich noch in gutem Zuge war, und noch viel bereits<lb/>
Erfundenes zu ſagen hatte. Auf dieſe Weiſe laͤßt ſich<lb/>
viel leichter wieder anknuͤpfen, als wenn ich ſo lange<lb/>
fortgeſchrieben haͤtte bis es ſtockte.“ Ich merkte mir<lb/>
dieſes als eine gute Lehre.</p><lb/><p>Es war die Abſicht geweſen, vor Tiſch eine Spazier¬<lb/>
fahrt zu machen; allein wir fanden es beyderſeits ſo<lb/>
angenehm im Zimmer, daß die Pferde abbeſtellt wurden.</p><lb/><p>Unterdeſſen hatte der Bediente Friedrich eine große<lb/>
von Paris angekommene Kiſte ausgepackt. Es war<lb/>
eine Sendung vom Bildhauer <hirendition="#g">David</hi>, in Gips abge¬<lb/>
goſſene Portraits, Basreliefs, von ſieben und funfzig<lb/>
beruͤhmten Perſonen. Friedrich trug die Abguͤſſe in ver¬<lb/>ſchiedenen Schieblaͤden herein, und es gab große Unter¬<lb/>
haltung, alle die intereſſanten Perſoͤnlichkeiten zu be¬<lb/>
trachten. Beſonders erwartungsvoll war ich auf <hirendition="#g">M</hi><hirendition="#aq #g">é</hi><hirendition="#g">¬<lb/>
rim</hi><hirendition="#aq #g">é</hi><hirendition="#g">e</hi>; der Kopf erſchien ſo kraͤftig und verwegen, wie<lb/>ſein Talent, und Goethe bemerkte, daß er etwas Hu¬<lb/>
moriſtiſches habe. <hirendition="#g">Victor Hugo</hi>, <hirendition="#g">Alfred de Vigny</hi>,<lb/><hirendition="#g">Emile Deschamps</hi>, zeigten ſich als reine, freye,<lb/>
heitere Koͤpfe. Auch erfreuten uns die Portraits der<lb/>
Demoiſelle <hirendition="#g">Gay</hi>, der Madame <hirendition="#g">Taſtuͤ</hi> und anderer jun¬<lb/>
ger Schriftſtellerinnen. Das kraͤftige Bild von <hirendition="#g">Fabvier</hi><lb/>
erinnerte an Menſchen fruͤherer Jahrhunderte, und wir<lb/>
hatten Genuß, es wiederholt zu betrachten. So gingen<lb/><fwplace="bottom"type="sig">13 *<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[195/0205]
die letzte Lieferung fertig zu machen. „Hiebey aber,
ſagte er, bin ich klug geweſen, daß ich aufgehoͤrt habe,
wo ich noch in gutem Zuge war, und noch viel bereits
Erfundenes zu ſagen hatte. Auf dieſe Weiſe laͤßt ſich
viel leichter wieder anknuͤpfen, als wenn ich ſo lange
fortgeſchrieben haͤtte bis es ſtockte.“ Ich merkte mir
dieſes als eine gute Lehre.
Es war die Abſicht geweſen, vor Tiſch eine Spazier¬
fahrt zu machen; allein wir fanden es beyderſeits ſo
angenehm im Zimmer, daß die Pferde abbeſtellt wurden.
Unterdeſſen hatte der Bediente Friedrich eine große
von Paris angekommene Kiſte ausgepackt. Es war
eine Sendung vom Bildhauer David, in Gips abge¬
goſſene Portraits, Basreliefs, von ſieben und funfzig
beruͤhmten Perſonen. Friedrich trug die Abguͤſſe in ver¬
ſchiedenen Schieblaͤden herein, und es gab große Unter¬
haltung, alle die intereſſanten Perſoͤnlichkeiten zu be¬
trachten. Beſonders erwartungsvoll war ich auf M é ¬
rim é e; der Kopf erſchien ſo kraͤftig und verwegen, wie
ſein Talent, und Goethe bemerkte, daß er etwas Hu¬
moriſtiſches habe. Victor Hugo, Alfred de Vigny,
Emile Deschamps, zeigten ſich als reine, freye,
heitere Koͤpfe. Auch erfreuten uns die Portraits der
Demoiſelle Gay, der Madame Taſtuͤ und anderer jun¬
ger Schriftſtellerinnen. Das kraͤftige Bild von Fabvier
erinnerte an Menſchen fruͤherer Jahrhunderte, und wir
hatten Genuß, es wiederholt zu betrachten. So gingen
13 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/205>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.