Mit Goethe zu Tisch. Wir sprechen über den Ho¬ mer. Ich bemerke, daß sich die Einwirkung der Göt¬ ter unmittelbar ans Reale anschließe. -- "Es ist un¬ endlich zart und menschlich, sagte Goethe, und ich danke Gott, daß wir aus den Zeiten heraus sind, wo die Franzosen diese Einwirkung der Götter Maschinerie nannten. Aber freylich! so ungeheure Verdienste nach¬ zuempfinden, bedurfte einiger Zeit, denn es erforderte eine gänzliche Umwandlung ihrer Cultur."
Goethe sagte mir sodann, daß er in die Erscheinung der Helena noch einen Zug hineingebracht, um ihre Schönheit zu erhöhen, welches durch eine Bemerkung von mir veranlaßt worden, und meinem Gefühl zur Ehre gereiche.
Nach Tisch zeigte Goethe mir den Umriß eines Bil¬ des von Cornelius: den Orpheus vor Pluto's Throne darstellend, um die Eurydice zu befreyen. Das Bild erschien uns wohl überlegt und das Einzelne vortreff¬ lich gemacht, doch wollte es nicht recht befriedigen und dem Gemüth kein rechtes Behagen geben. Vielleicht, dachten wir, bringt die Färbung eine größere Harmo¬ nie hinein; vielleicht auch wäre der folgende Moment günstiger gewesen, wo Orpheus über das Herz des Pluto bereits gesiegt hat und ihm die Eurydice zurück¬ gegeben wird. Die Situation hätte sodann nicht mehr
Mittwoch, den 24. Februar 1830.
Mit Goethe zu Tiſch. Wir ſprechen uͤber den Ho¬ mer. Ich bemerke, daß ſich die Einwirkung der Goͤt¬ ter unmittelbar ans Reale anſchließe. — „Es iſt un¬ endlich zart und menſchlich, ſagte Goethe, und ich danke Gott, daß wir aus den Zeiten heraus ſind, wo die Franzoſen dieſe Einwirkung der Goͤtter Maſchinerie nannten. Aber freylich! ſo ungeheure Verdienſte nach¬ zuempfinden, bedurfte einiger Zeit, denn es erforderte eine gaͤnzliche Umwandlung ihrer Cultur.“
Goethe ſagte mir ſodann, daß er in die Erſcheinung der Helena noch einen Zug hineingebracht, um ihre Schoͤnheit zu erhoͤhen, welches durch eine Bemerkung von mir veranlaßt worden, und meinem Gefuͤhl zur Ehre gereiche.
Nach Tiſch zeigte Goethe mir den Umriß eines Bil¬ des von Cornelius: den Orpheus vor Pluto's Throne darſtellend, um die Eurydice zu befreyen. Das Bild erſchien uns wohl uͤberlegt und das Einzelne vortreff¬ lich gemacht, doch wollte es nicht recht befriedigen und dem Gemuͤth kein rechtes Behagen geben. Vielleicht, dachten wir, bringt die Faͤrbung eine groͤßere Harmo¬ nie hinein; vielleicht auch waͤre der folgende Moment guͤnſtiger geweſen, wo Orpheus uͤber das Herz des Pluto bereits geſiegt hat und ihm die Eurydice zuruͤck¬ gegeben wird. Die Situation haͤtte ſodann nicht mehr
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Mittwoch, den 24. Februar 1830.
Mit Goethe zu Tiſch. Wir ſprechen uͤber den Ho¬
mer. Ich bemerke, daß ſich die Einwirkung der Goͤt¬
ter unmittelbar ans Reale anſchließe. — „Es iſt un¬
endlich zart und menſchlich, ſagte Goethe, und ich danke
Gott, daß wir aus den Zeiten heraus ſind, wo die
Franzoſen dieſe Einwirkung der Goͤtter Maſchinerie
nannten. Aber freylich! ſo ungeheure Verdienſte nach¬
zuempfinden, bedurfte einiger Zeit, denn es erforderte
eine gaͤnzliche Umwandlung ihrer Cultur.“
Goethe ſagte mir ſodann, daß er in die Erſcheinung
der Helena noch einen Zug hineingebracht, um ihre
Schoͤnheit zu erhoͤhen, welches durch eine Bemerkung
von mir veranlaßt worden, und meinem Gefuͤhl zur
Ehre gereiche.
Nach Tiſch zeigte Goethe mir den Umriß eines Bil¬
des von Cornelius: den Orpheus vor Pluto's Throne
darſtellend, um die Eurydice zu befreyen. Das Bild
erſchien uns wohl uͤberlegt und das Einzelne vortreff¬
lich gemacht, doch wollte es nicht recht befriedigen und
dem Gemuͤth kein rechtes Behagen geben. Vielleicht,
dachten wir, bringt die Faͤrbung eine groͤßere Harmo¬
nie hinein; vielleicht auch waͤre der folgende Moment
guͤnſtiger geweſen, wo Orpheus uͤber das Herz des
Pluto bereits geſiegt hat und ihm die Eurydice zuruͤck¬
gegeben wird. Die Situation haͤtte ſodann nicht mehr
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/201>, abgerufen am 24.11.2024.
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