führt, und es kommt zur Sprache, daß die Gelegenheit zur guten Färbung eines Bildes in der Composition liege.
Später, auf einem Spaziergange, kommt mir die Luftpflanze wieder vor die Seele, und ich habe den Ge¬ danken, daß ein Wesen seine Existenz fortsetzt so lange es geht, dann aber sich zusammennimmt, um wieder seines Gleichen hervorzubringen. Es erinnert mich dieses Naturgesetz an jene Legende, wo wir uns die Gottheit im Urbeginn der Dinge alleine denken, sodann aber den Sohn erschaffend, welcher ihr gleich ist. So auch ha¬ ben gute Meister nichts Angelegentlicheres zu thun, als sich gute Schüler zu bilden, in denen sie ihre Grund¬ sätze und Thätigkeiten fortgesetzt sehen. Nicht weniger ist jedes Werk eines Künstlers, oder Dichters, als sei¬ nes Gleichen zu betrachten, und in demselbigen Grade, wie ein solches Werk vortrefflich ist, wird der Künstler oder Dichter vortrefflich gewesen seyn, da er es machte. Ein treffliches Werk eines Andern soll daher niemals Neid in mir erregen, indem es mich auf einen vortreff¬ lichen Menschen zurückschließen läßt, der es zu machen werth war.
fuͤhrt, und es kommt zur Sprache, daß die Gelegenheit zur guten Faͤrbung eines Bildes in der Compoſition liege.
Spaͤter, auf einem Spaziergange, kommt mir die Luftpflanze wieder vor die Seele, und ich habe den Ge¬ danken, daß ein Weſen ſeine Exiſtenz fortſetzt ſo lange es geht, dann aber ſich zuſammennimmt, um wieder ſeines Gleichen hervorzubringen. Es erinnert mich dieſes Naturgeſetz an jene Legende, wo wir uns die Gottheit im Urbeginn der Dinge alleine denken, ſodann aber den Sohn erſchaffend, welcher ihr gleich iſt. So auch ha¬ ben gute Meiſter nichts Angelegentlicheres zu thun, als ſich gute Schuͤler zu bilden, in denen ſie ihre Grund¬ ſaͤtze und Thaͤtigkeiten fortgeſetzt ſehen. Nicht weniger iſt jedes Werk eines Kuͤnſtlers, oder Dichters, als ſei¬ nes Gleichen zu betrachten, und in demſelbigen Grade, wie ein ſolches Werk vortrefflich iſt, wird der Kuͤnſtler oder Dichter vortrefflich geweſen ſeyn, da er es machte. Ein treffliches Werk eines Andern ſoll daher niemals Neid in mir erregen, indem es mich auf einen vortreff¬ lichen Menſchen zuruͤckſchließen laͤßt, der es zu machen werth war.
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fuͤhrt, und es kommt zur Sprache, daß die Gelegenheit
zur guten Faͤrbung eines Bildes in der Compoſition
liege.
Spaͤter, auf einem Spaziergange, kommt mir die
Luftpflanze wieder vor die Seele, und ich habe den Ge¬
danken, daß ein Weſen ſeine Exiſtenz fortſetzt ſo lange
es geht, dann aber ſich zuſammennimmt, um wieder
ſeines Gleichen hervorzubringen. Es erinnert mich dieſes
Naturgeſetz an jene Legende, wo wir uns die Gottheit
im Urbeginn der Dinge alleine denken, ſodann aber den
Sohn erſchaffend, welcher ihr gleich iſt. So auch ha¬
ben gute Meiſter nichts Angelegentlicheres zu thun, als
ſich gute Schuͤler zu bilden, in denen ſie ihre Grund¬
ſaͤtze und Thaͤtigkeiten fortgeſetzt ſehen. Nicht weniger
iſt jedes Werk eines Kuͤnſtlers, oder Dichters, als ſei¬
nes Gleichen zu betrachten, und in demſelbigen Grade,
wie ein ſolches Werk vortrefflich iſt, wird der Kuͤnſtler
oder Dichter vortrefflich geweſen ſeyn, da er es machte.
Ein treffliches Werk eines Andern ſoll daher niemals
Neid in mir erregen, indem es mich auf einen vortreff¬
lichen Menſchen zuruͤckſchließen laͤßt, der es zu machen
werth war.
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/200>, abgerufen am 23.11.2024.
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