von dieser Nothwendigkeit überzeugt und hatte den festen Entschluß, so zu thun. Dann aber starb der Großher¬ zog; in Goethe's ganze Existenz war dadurch eine un¬ geheure Lücke gerissen, an eine so viele Heiterkeit und ruhigen Sinn verlangende Composition war nicht mehr zu denken, und er hatte nur zu sehen, wie er sich per¬ sönlich oben halten und wieder herstellen wollte.
Jetzt aber, da er mit Herbstes Anfang von Dorn¬ burg zurückkehrend die Zimmer seiner Weimarischen Woh¬ nung wieder betrat, mußte ihm auch der Gedanke an die Vollendung seiner Wanderjahre, wozu ihm nur noch die kurze Frist weniger Monate vergönnet war, lebendig vor die Seele treten, und zwar im Conflict mit den mannigfaltigen Störungen, die ihm bevorstanden und einem reinen ruhigen Walten und Wirken seines Ta¬ lentes im Wege waren.
Faßt man nun alles Dargelegte zusammen, so wird man mich verstehen, wenn ich sage, daß in Goethe, trotz seiner leichten heiteren Scherze bey Tisch, eine tiefer liegende Befangenheit nicht sey zu verkennen gewesen.
Warum ich aber diese Verhältnisse berühre, hat noch einen anderen Grund. Es steht mit einer Aeußerung Goethe's in Verbindung, die mir sehr merkwürdig er¬ schien, die seinen Zustand und sein eigenthümliches We¬ sen aussprach, und wovon ich nun reden will.
Professor Abeken zu Osnabrück hatte mir in den Tagen vor dem 28. August einen Einschluß zugesendet,
von dieſer Nothwendigkeit uͤberzeugt und hatte den feſten Entſchluß, ſo zu thun. Dann aber ſtarb der Großher¬ zog; in Goethe's ganze Exiſtenz war dadurch eine un¬ geheure Luͤcke geriſſen, an eine ſo viele Heiterkeit und ruhigen Sinn verlangende Compoſition war nicht mehr zu denken, und er hatte nur zu ſehen, wie er ſich per¬ ſoͤnlich oben halten und wieder herſtellen wollte.
Jetzt aber, da er mit Herbſtes Anfang von Dorn¬ burg zuruͤckkehrend die Zimmer ſeiner Weimariſchen Woh¬ nung wieder betrat, mußte ihm auch der Gedanke an die Vollendung ſeiner Wanderjahre, wozu ihm nur noch die kurze Friſt weniger Monate vergoͤnnet war, lebendig vor die Seele treten, und zwar im Conflict mit den mannigfaltigen Stoͤrungen, die ihm bevorſtanden und einem reinen ruhigen Walten und Wirken ſeines Ta¬ lentes im Wege waren.
Faßt man nun alles Dargelegte zuſammen, ſo wird man mich verſtehen, wenn ich ſage, daß in Goethe, trotz ſeiner leichten heiteren Scherze bey Tiſch, eine tiefer liegende Befangenheit nicht ſey zu verkennen geweſen.
Warum ich aber dieſe Verhaͤltniſſe beruͤhre, hat noch einen anderen Grund. Es ſteht mit einer Aeußerung Goethe's in Verbindung, die mir ſehr merkwuͤrdig er¬ ſchien, die ſeinen Zuſtand und ſein eigenthuͤmliches We¬ ſen ausſprach, und wovon ich nun reden will.
Profeſſor Abeken zu Osnabruͤck hatte mir in den Tagen vor dem 28. Auguſt einen Einſchluß zugeſendet,
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von dieſer Nothwendigkeit uͤberzeugt und hatte den feſten
Entſchluß, ſo zu thun. Dann aber ſtarb der Großher¬
zog; in Goethe's ganze Exiſtenz war dadurch eine un¬
geheure Luͤcke geriſſen, an eine ſo viele Heiterkeit und
ruhigen Sinn verlangende Compoſition war nicht mehr
zu denken, und er hatte nur zu ſehen, wie er ſich per¬
ſoͤnlich oben halten und wieder herſtellen wollte.
Jetzt aber, da er mit Herbſtes Anfang von Dorn¬
burg zuruͤckkehrend die Zimmer ſeiner Weimariſchen Woh¬
nung wieder betrat, mußte ihm auch der Gedanke an
die Vollendung ſeiner Wanderjahre, wozu ihm nur noch
die kurze Friſt weniger Monate vergoͤnnet war, lebendig
vor die Seele treten, und zwar im Conflict mit den
mannigfaltigen Stoͤrungen, die ihm bevorſtanden und
einem reinen ruhigen Walten und Wirken ſeines Ta¬
lentes im Wege waren.
Faßt man nun alles Dargelegte zuſammen, ſo wird
man mich verſtehen, wenn ich ſage, daß in Goethe,
trotz ſeiner leichten heiteren Scherze bey Tiſch, eine tiefer
liegende Befangenheit nicht ſey zu verkennen geweſen.
Warum ich aber dieſe Verhaͤltniſſe beruͤhre, hat noch
einen anderen Grund. Es ſteht mit einer Aeußerung
Goethe's in Verbindung, die mir ſehr merkwuͤrdig er¬
ſchien, die ſeinen Zuſtand und ſein eigenthuͤmliches We¬
ſen ausſprach, und wovon ich nun reden will.
Profeſſor Abeken zu Osnabruͤck hatte mir in den
Tagen vor dem 28. Auguſt einen Einſchluß zugeſendet,
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/20>, abgerufen am 24.11.2024.
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