Hof in Rußland. Goethe ging bald nach Dornburg, um sich den täglichen betrübenden Eindrücken zu ent¬ ziehen und sich in einer neuen Umgebung durch eine frische Thätigkeit wieder herzustellen. Durch bedeutende ihn nahe berührende literarische Anregungen von Seiten der Franzosen ward er von Neuem in die Pflanzenlehre getrieben, bey welchen Studien ihm dieser ländliche Aufenthalt, wo ihm bey jedem Schritt ins Freye die üppigste Vegetation rankender Weinreben und sprossen¬ der Blumen umgab, sehr zu Statten kam.
Ich besuchte ihn dort einige Mal in Begleitung sei¬ ner Schwiegertochter und Enkel. Er schien sehr glück¬ lich zu seyn und konnte nicht unterlassen, seinen Zustand und die herrliche Lage des Schlosses und der Gärten wiederholt zu preisen. Und in der That! man hatte aus den Fenstern von solcher Höhe hinab einen reizenden Anblick. Unten das mannigfaltig belebte Thal mit der durch Wiesen sich hinschlängelnden Saale. Gegenüber nach Osten waldige Hügel, über welche der Blick ins Weite schweifte, so daß man fühlte, es sey dieser Stand am Tag der Beobachtung vorbeyziehender und sich im Weiten verlierender Regenschauer, so wie bey Nacht der Betrachtung des östlichen Sternenheers und der auf¬ gehenden Sonne besonders günstig.
"Ich verlebe hier, sagte Goethe, so gute Tage wie Nächte. Oft vor Tagesanbruch bin ich wach und liege im offenen Fenster, um mich an der Pracht der jetzt
Hof in Rußland. Goethe ging bald nach Dornburg, um ſich den taͤglichen betruͤbenden Eindruͤcken zu ent¬ ziehen und ſich in einer neuen Umgebung durch eine friſche Thaͤtigkeit wieder herzuſtellen. Durch bedeutende ihn nahe beruͤhrende literariſche Anregungen von Seiten der Franzoſen ward er von Neuem in die Pflanzenlehre getrieben, bey welchen Studien ihm dieſer laͤndliche Aufenthalt, wo ihm bey jedem Schritt ins Freye die uͤppigſte Vegetation rankender Weinreben und ſproſſen¬ der Blumen umgab, ſehr zu Statten kam.
Ich beſuchte ihn dort einige Mal in Begleitung ſei¬ ner Schwiegertochter und Enkel. Er ſchien ſehr gluͤck¬ lich zu ſeyn und konnte nicht unterlaſſen, ſeinen Zuſtand und die herrliche Lage des Schloſſes und der Gaͤrten wiederholt zu preiſen. Und in der That! man hatte aus den Fenſtern von ſolcher Hoͤhe hinab einen reizenden Anblick. Unten das mannigfaltig belebte Thal mit der durch Wieſen ſich hinſchlaͤngelnden Saale. Gegenuͤber nach Oſten waldige Huͤgel, uͤber welche der Blick ins Weite ſchweifte, ſo daß man fuͤhlte, es ſey dieſer Stand am Tag der Beobachtung vorbeyziehender und ſich im Weiten verlierender Regenſchauer, ſo wie bey Nacht der Betrachtung des oͤſtlichen Sternenheers und der auf¬ gehenden Sonne beſonders guͤnſtig.
„Ich verlebe hier, ſagte Goethe, ſo gute Tage wie Naͤchte. Oft vor Tagesanbruch bin ich wach und liege im offenen Fenſter, um mich an der Pracht der jetzt
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Hof in Rußland. Goethe ging bald nach Dornburg,
um ſich den taͤglichen betruͤbenden Eindruͤcken zu ent¬
ziehen und ſich in einer neuen Umgebung durch eine
friſche Thaͤtigkeit wieder herzuſtellen. Durch bedeutende
ihn nahe beruͤhrende literariſche Anregungen von Seiten
der Franzoſen ward er von Neuem in die Pflanzenlehre
getrieben, bey welchen Studien ihm dieſer laͤndliche
Aufenthalt, wo ihm bey jedem Schritt ins Freye die
uͤppigſte Vegetation rankender Weinreben und ſproſſen¬
der Blumen umgab, ſehr zu Statten kam.
Ich beſuchte ihn dort einige Mal in Begleitung ſei¬
ner Schwiegertochter und Enkel. Er ſchien ſehr gluͤck¬
lich zu ſeyn und konnte nicht unterlaſſen, ſeinen Zuſtand
und die herrliche Lage des Schloſſes und der Gaͤrten
wiederholt zu preiſen. Und in der That! man hatte aus
den Fenſtern von ſolcher Hoͤhe hinab einen reizenden
Anblick. Unten das mannigfaltig belebte Thal mit der
durch Wieſen ſich hinſchlaͤngelnden Saale. Gegenuͤber
nach Oſten waldige Huͤgel, uͤber welche der Blick ins
Weite ſchweifte, ſo daß man fuͤhlte, es ſey dieſer Stand
am Tag der Beobachtung vorbeyziehender und ſich im
Weiten verlierender Regenſchauer, ſo wie bey Nacht der
Betrachtung des oͤſtlichen Sternenheers und der auf¬
gehenden Sonne beſonders guͤnſtig.
„Ich verlebe hier, ſagte Goethe, ſo gute Tage wie
Naͤchte. Oft vor Tagesanbruch bin ich wach und liege
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/16>, abgerufen am 24.11.2024.
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