pelle, wozu ein Schuster den Schlüssel hatte, der immer für vier Groschen aufschloß. Hier, vor den Bildern, ging es nun an Demonstrationen, und wenn man lange ge¬ nug gestritten, kehrte man in die Osterie zurück, um bey einer Flasche Wein sich zu versöhnen und alle Con¬ troversen zu vergessen. So ging es jeden Tag, und der Schuster an der Sixtinischen Capelle erhielt manche vier Groschen."
Bey dieser heiteren Gelegenheit erinnerte man sich eines anderen Schusters, der auf einem antiken Mar¬ morkopf gewöhnlich sein Leder geklopft. "Es war das Portrait eines römischen Kaisers, sagte Meyer; die Antike stand vor des Schusters Thüre, und wir haben ihn sehr oft in[...] dieser löblichen Beschäftigung gesehen wenn wir vorbeygingen."
Mittwoch, den 15. April 1829.
Wir sprachen über Leute, die, ohne eigentliches Ta¬ lent, zur Productivität gerufen werden, und über An¬ dere, die über Dinge schreiben die sie nicht verstehen.
"Das Verführerische für junge Leute, sagte Goethe, ist dieses. Wir leben in einer Zeit, wo so viele Cultur verbreitet ist, daß sie sich gleichsam der Atmosphäre mit¬ getheilt hat, worin ein junger Mensch athmet. Poe¬
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pelle, wozu ein Schuſter den Schluͤſſel hatte, der immer fuͤr vier Groſchen aufſchloß. Hier, vor den Bildern, ging es nun an Demonſtrationen, und wenn man lange ge¬ nug geſtritten, kehrte man in die Oſterie zuruͤck, um bey einer Flaſche Wein ſich zu verſoͤhnen und alle Con¬ troverſen zu vergeſſen. So ging es jeden Tag, und der Schuſter an der Sixtiniſchen Capelle erhielt manche vier Groſchen.“
Bey dieſer heiteren Gelegenheit erinnerte man ſich eines anderen Schuſters, der auf einem antiken Mar¬ morkopf gewoͤhnlich ſein Leder geklopft. „Es war das Portrait eines roͤmiſchen Kaiſers, ſagte Meyer; die Antike ſtand vor des Schuſters Thuͤre, und wir haben ihn ſehr oft in[…] dieſer loͤblichen Beſchaͤftigung geſehen wenn wir vorbeygingen.“
Mittwoch, den 15. April 1829.
Wir ſprachen uͤber Leute, die, ohne eigentliches Ta¬ lent, zur Productivitaͤt gerufen werden, und uͤber An¬ dere, die uͤber Dinge ſchreiben die ſie nicht verſtehen.
„Das Verfuͤhreriſche fuͤr junge Leute, ſagte Goethe, iſt dieſes. Wir leben in einer Zeit, wo ſo viele Cultur verbreitet iſt, daß ſie ſich gleichſam der Atmoſphaͤre mit¬ getheilt hat, worin ein junger Menſch athmet. Poe¬
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pelle, wozu ein Schuſter den Schluͤſſel hatte, der immer
fuͤr vier Groſchen aufſchloß. Hier, vor den Bildern, ging
es nun an Demonſtrationen, und wenn man lange ge¬
nug geſtritten, kehrte man in die Oſterie zuruͤck, um
bey einer Flaſche Wein ſich zu verſoͤhnen und alle Con¬
troverſen zu vergeſſen. So ging es jeden Tag, und der
Schuſter an der Sixtiniſchen Capelle erhielt manche vier
Groſchen.“
Bey dieſer heiteren Gelegenheit erinnerte man ſich
eines anderen Schuſters, der auf einem antiken Mar¬
morkopf gewoͤhnlich ſein Leder geklopft. „Es war das
Portrait eines roͤmiſchen Kaiſers, ſagte Meyer; die
Antike ſtand vor des Schuſters Thuͤre, und wir haben
ihn ſehr oft in dieſer loͤblichen Beſchaͤftigung geſehen
wenn wir vorbeygingen.“
Mittwoch, den 15. April 1829.
Wir ſprachen uͤber Leute, die, ohne eigentliches Ta¬
lent, zur Productivitaͤt gerufen werden, und uͤber An¬
dere, die uͤber Dinge ſchreiben die ſie nicht verſtehen.
„Das Verfuͤhreriſche fuͤr junge Leute, ſagte Goethe,
iſt dieſes. Wir leben in einer Zeit, wo ſo viele Cultur
verbreitet iſt, daß ſie ſich gleichſam der Atmoſphaͤre mit¬
getheilt hat, worin ein junger Menſch athmet. Poe¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/157>, abgerufen am 22.02.2025.
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