Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.zugleich gewähren. Wie sie aber zu dem Gefühl eines Noch etwas Eigenes, sagte ich, hat das Gedicht. Von | meinem | breiten | Lager | bin ich ver | trieben. Wir sprachen über Rhythmus im Allgemeinen und Ich wartete auf den Abdruck des Siegels; Goethe zugleich gewaͤhren. Wie ſie aber zu dem Gefuͤhl eines Noch etwas Eigenes, ſagte ich, hat das Gedicht. Vo͝n | m͞eine͝m | br͞eite͝n | L͞age͝r | b͞in ic͝h ve͝r | t͞riebe͝n. Wir ſprachen uͤber Rhythmus im Allgemeinen und Ich wartete auf den Abdruck des Siegels; Goethe <TEI> <text> <body> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0118" n="108"/> zugleich gewaͤhren. Wie ſie aber zu dem Gefuͤhl eines<lb/> ſolchen Zuſtandes gekommen ſind, begreife ich kaum; das<lb/> Gedicht iſt wie aus einer anderen Zeit und einer ande¬<lb/> ren Welt. „Ich werde es auch nicht zum zweyten<lb/> Male machen, ſagte Goethe, und wuͤßte auch nicht zu<lb/> ſagen, wie ich dazu gekommen bin, wie uns denn die¬<lb/> ſes ſehr oft geſchieht.“</p><lb/> <p>Noch etwas Eigenes, ſagte ich, hat das Gedicht.<lb/> Es iſt mir immer als waͤre es gereimt, und doch iſt<lb/> es nicht ſo. Woher kommt das? „Es liegt im Rhyth¬<lb/> mus, ſagte Goethe. Die Verſe beginnen mit einem<lb/> Vorſchlag, gehen trochaͤiſch fort, wo denn der Dactylus<lb/> gegen das Ende eintritt, welcher eigenartig wirkt und<lb/> wodurch es einen duͤſter klagenden Character bekommt.“<lb/> Goethe nahm eine Bleyfeder und theilte ſo ab:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Vo͝n | m͞eine͝m | br͞eite͝n | L͞age͝r | b͞in ic͝h ve͝r | t͞riebe͝n.</l><lb/> </lg> <p>Wir ſprachen uͤber Rhythmus im Allgemeinen und<lb/> kamen darin uͤberein, daß ſich uͤber ſolche Dinge nicht<lb/> denken laſſe. „Der Tact, ſagte Goethe, kommt aus<lb/> der poetiſchen Stimmung, wie unbewußt. Wollte man<lb/> daruͤber denken, wenn man ein Gedicht macht, man<lb/> wuͤrde verruͤckt und braͤchte nichts Geſcheidtes zu Stande.“</p><lb/> <p>Ich wartete auf den Abdruck des Siegels; Goethe<lb/> fing an uͤber <hi rendition="#g">Guizot</hi> zu reden. „Ich gehe in ſeinen<lb/> Vorleſungen fort, ſagte er, und ſie halten ſich trefflich.<lb/> Die dießjaͤhrigen gehen etwa bis ins achte Jahr¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [108/0118]
zugleich gewaͤhren. Wie ſie aber zu dem Gefuͤhl eines
ſolchen Zuſtandes gekommen ſind, begreife ich kaum; das
Gedicht iſt wie aus einer anderen Zeit und einer ande¬
ren Welt. „Ich werde es auch nicht zum zweyten
Male machen, ſagte Goethe, und wuͤßte auch nicht zu
ſagen, wie ich dazu gekommen bin, wie uns denn die¬
ſes ſehr oft geſchieht.“
Noch etwas Eigenes, ſagte ich, hat das Gedicht.
Es iſt mir immer als waͤre es gereimt, und doch iſt
es nicht ſo. Woher kommt das? „Es liegt im Rhyth¬
mus, ſagte Goethe. Die Verſe beginnen mit einem
Vorſchlag, gehen trochaͤiſch fort, wo denn der Dactylus
gegen das Ende eintritt, welcher eigenartig wirkt und
wodurch es einen duͤſter klagenden Character bekommt.“
Goethe nahm eine Bleyfeder und theilte ſo ab:
Vo͝n | m͞eine͝m | br͞eite͝n | L͞age͝r | b͞in ic͝h ve͝r | t͞riebe͝n.
Wir ſprachen uͤber Rhythmus im Allgemeinen und
kamen darin uͤberein, daß ſich uͤber ſolche Dinge nicht
denken laſſe. „Der Tact, ſagte Goethe, kommt aus
der poetiſchen Stimmung, wie unbewußt. Wollte man
daruͤber denken, wenn man ein Gedicht macht, man
wuͤrde verruͤckt und braͤchte nichts Geſcheidtes zu Stande.“
Ich wartete auf den Abdruck des Siegels; Goethe
fing an uͤber Guizot zu reden. „Ich gehe in ſeinen
Vorleſungen fort, ſagte er, und ſie halten ſich trefflich.
Die dießjaͤhrigen gehen etwa bis ins achte Jahr¬
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