Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Als ich diesen Abend gegen acht Uhr in Goethe's
Hause anfragte, hörte ich, er sey noch nicht vom Gar¬
ten zurückgekehrt. Ich ging ihm daher entgegen und
fand ihn im Park auf einer Bank unter kühlen Linden
sitzen, seinen Enkel Wolfgang an seiner Seite.

Goethe schien sich meiner Annäherung zu freuen und
winkte mir, neben ihm Platz zu nehmen. Wir hatten
kaum die ersten flüchtigen Reden des Zusammentreffens
abgethan, als das Gespräch sich wieder auf Manzoni
wendete.

"Ich sagte Ihnen doch neulich, begann Goethe,
daß unserm Dichter in diesem Roman der Historiker zu
gute käme, jetzt aber im dritten Bande finde ich, daß
der Historiker dem Poeten einen bösen Streich spielt,
indem Herr Manzoni mit einem Mal den Rock des
Poeten auszieht und eine ganze Weile als nackter Hi¬
storiker dasteht. Und zwar geschieht dieses bey einer
Beschreibung von Krieg, Hungersnoth und Pestilenz,
welche Dinge schon an sich widerwärtiger Art sind, und
die nun durch das umständliche Detail einer trockenen chro¬
nikenhaften Schilderung unerträglich werden. Der deutsche
Übersetzer muß diesen Fehler zu vermeiden suchen, er
muß die Beschreibung des Kriegs und der Hungersnoth
um einen guten Theil, und die der Pest um zwey

Als ich dieſen Abend gegen acht Uhr in Goethe's
Hauſe anfragte, hoͤrte ich, er ſey noch nicht vom Gar¬
ten zuruͤckgekehrt. Ich ging ihm daher entgegen und
fand ihn im Park auf einer Bank unter kuͤhlen Linden
ſitzen, ſeinen Enkel Wolfgang an ſeiner Seite.

Goethe ſchien ſich meiner Annaͤherung zu freuen und
winkte mir, neben ihm Platz zu nehmen. Wir hatten
kaum die erſten fluͤchtigen Reden des Zuſammentreffens
abgethan, als das Geſpraͤch ſich wieder auf Manzoni
wendete.

„Ich ſagte Ihnen doch neulich, begann Goethe,
daß unſerm Dichter in dieſem Roman der Hiſtoriker zu
gute kaͤme, jetzt aber im dritten Bande finde ich, daß
der Hiſtoriker dem Poeten einen boͤſen Streich ſpielt,
indem Herr Manzoni mit einem Mal den Rock des
Poeten auszieht und eine ganze Weile als nackter Hi¬
ſtoriker daſteht. Und zwar geſchieht dieſes bey einer
Beſchreibung von Krieg, Hungersnoth und Peſtilenz,
welche Dinge ſchon an ſich widerwaͤrtiger Art ſind, und
die nun durch das umſtaͤndliche Detail einer trockenen chro¬
nikenhaften Schilderung unertraͤglich werden. Der deutſche
Überſetzer muß dieſen Fehler zu vermeiden ſuchen, er
muß die Beſchreibung des Kriegs und der Hungersnoth
um einen guten Theil, und die der Peſt um zwey

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0399" n="379"/>
        </div>
        <div n="2">
          <dateline rendition="#right">Montag den 23. July 1827.<lb/></dateline>
          <p>Als ich die&#x017F;en Abend gegen acht Uhr in Goethe's<lb/>
Hau&#x017F;e anfragte, ho&#x0364;rte ich, er &#x017F;ey noch nicht vom Gar¬<lb/>
ten zuru&#x0364;ckgekehrt. Ich ging ihm daher entgegen und<lb/>
fand ihn im Park auf einer Bank unter ku&#x0364;hlen Linden<lb/>
&#x017F;itzen, &#x017F;einen Enkel Wolfgang an &#x017F;einer Seite.</p><lb/>
          <p>Goethe &#x017F;chien &#x017F;ich meiner Anna&#x0364;herung zu freuen und<lb/>
winkte mir, neben ihm Platz zu nehmen. Wir hatten<lb/>
kaum die er&#x017F;ten flu&#x0364;chtigen Reden des Zu&#x017F;ammentreffens<lb/>
abgethan, als das Ge&#x017F;pra&#x0364;ch &#x017F;ich wieder auf <hi rendition="#g">Manzoni</hi><lb/>
wendete.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich &#x017F;agte Ihnen doch neulich, begann Goethe,<lb/>
daß un&#x017F;erm Dichter in die&#x017F;em Roman der Hi&#x017F;toriker zu<lb/>
gute ka&#x0364;me, jetzt aber im dritten Bande finde ich, daß<lb/>
der Hi&#x017F;toriker dem Poeten einen bo&#x0364;&#x017F;en Streich &#x017F;pielt,<lb/>
indem Herr Manzoni mit einem Mal den Rock des<lb/>
Poeten auszieht und eine ganze Weile als nackter Hi¬<lb/>
&#x017F;toriker da&#x017F;teht. Und zwar ge&#x017F;chieht die&#x017F;es bey einer<lb/>
Be&#x017F;chreibung von Krieg, Hungersnoth und Pe&#x017F;tilenz,<lb/>
welche Dinge &#x017F;chon an &#x017F;ich widerwa&#x0364;rtiger Art &#x017F;ind, und<lb/>
die nun durch das um&#x017F;ta&#x0364;ndliche Detail einer trockenen chro¬<lb/>
nikenhaften Schilderung unertra&#x0364;glich werden. Der deut&#x017F;che<lb/>
Über&#x017F;etzer muß die&#x017F;en Fehler zu vermeiden &#x017F;uchen, er<lb/>
muß die Be&#x017F;chreibung des Kriegs und der Hungersnoth<lb/>
um einen guten Theil, und die der Pe&#x017F;t um zwey<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[379/0399] Montag den 23. July 1827. Als ich dieſen Abend gegen acht Uhr in Goethe's Hauſe anfragte, hoͤrte ich, er ſey noch nicht vom Gar¬ ten zuruͤckgekehrt. Ich ging ihm daher entgegen und fand ihn im Park auf einer Bank unter kuͤhlen Linden ſitzen, ſeinen Enkel Wolfgang an ſeiner Seite. Goethe ſchien ſich meiner Annaͤherung zu freuen und winkte mir, neben ihm Platz zu nehmen. Wir hatten kaum die erſten fluͤchtigen Reden des Zuſammentreffens abgethan, als das Geſpraͤch ſich wieder auf Manzoni wendete. „Ich ſagte Ihnen doch neulich, begann Goethe, daß unſerm Dichter in dieſem Roman der Hiſtoriker zu gute kaͤme, jetzt aber im dritten Bande finde ich, daß der Hiſtoriker dem Poeten einen boͤſen Streich ſpielt, indem Herr Manzoni mit einem Mal den Rock des Poeten auszieht und eine ganze Weile als nackter Hi¬ ſtoriker daſteht. Und zwar geſchieht dieſes bey einer Beſchreibung von Krieg, Hungersnoth und Peſtilenz, welche Dinge ſchon an ſich widerwaͤrtiger Art ſind, und die nun durch das umſtaͤndliche Detail einer trockenen chro¬ nikenhaften Schilderung unertraͤglich werden. Der deutſche Überſetzer muß dieſen Fehler zu vermeiden ſuchen, er muß die Beſchreibung des Kriegs und der Hungersnoth um einen guten Theil, und die der Peſt um zwey

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/399
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/399>, abgerufen am 22.12.2024.