aus! das versteht er. Bin ich aber mit einem Freunde und ich wünsche von ihm diesen Dienst, so kann ich mich nicht so direct ausdrücken, sondern ich muß auf eine anmuthige, freundliche Wendung sinnen, wodurch ich ihn zu diesem Liebesdienst bewege. Die Nöthigung regt den Geist auf und aus diesem Grunde, wie gesagt, ist mir die Einschränkung der Preßfreyheit sogar lieb. Die Franzosen haben bisher immer den Ruhm gehabt, die geistreichste Nation zu seyn, und sie verdienen es zu bleiben. Wir Deutschen fallen mit unserer Meinung gerne gerade heraus und haben es im Indirecten noch nicht sehr weit gebracht."
"Die Pariser Parteyen, fuhr Goethe fort, könnten noch größer seyn als sie sind, wenn sie noch liberaler und freyer wären und sich gegenseitig noch mehr zuge¬ ständen als sie thun. Sie stehen auf einer höheren Stufe welthistorischer Ansicht als die Engländer, deren Parlament gegeneinanderwirkende gewaltige Kräfte sind, die sich paralysiren und wo die große Einsicht eines Einzelnen Mühe hat durchzudringen, wie wir an Can¬ ning und den vielen Quängeleyen sehen, die man die¬ sem großen Staatsmanne macht."
Wir standen auf, um zu gehen. Goethe aber war so voller Leben, daß das Gespräch noch eine Weile ste¬ hend fortgesetzt wurde. Dann entließ er uns liebevoll und ich begleitete den Canzler nach seiner Wohnung. Es war ein schöner Abend und wir sprachen im Gehen
aus! das verſteht er. Bin ich aber mit einem Freunde und ich wuͤnſche von ihm dieſen Dienſt, ſo kann ich mich nicht ſo direct ausdruͤcken, ſondern ich muß auf eine anmuthige, freundliche Wendung ſinnen, wodurch ich ihn zu dieſem Liebesdienſt bewege. Die Noͤthigung regt den Geiſt auf und aus dieſem Grunde, wie geſagt, iſt mir die Einſchraͤnkung der Preßfreyheit ſogar lieb. Die Franzoſen haben bisher immer den Ruhm gehabt, die geiſtreichſte Nation zu ſeyn, und ſie verdienen es zu bleiben. Wir Deutſchen fallen mit unſerer Meinung gerne gerade heraus und haben es im Indirecten noch nicht ſehr weit gebracht.“
„Die Pariſer Parteyen, fuhr Goethe fort, koͤnnten noch groͤßer ſeyn als ſie ſind, wenn ſie noch liberaler und freyer waͤren und ſich gegenſeitig noch mehr zuge¬ ſtaͤnden als ſie thun. Sie ſtehen auf einer hoͤheren Stufe welthiſtoriſcher Anſicht als die Englaͤnder, deren Parlament gegeneinanderwirkende gewaltige Kraͤfte ſind, die ſich paralyſiren und wo die große Einſicht eines Einzelnen Muͤhe hat durchzudringen, wie wir an Can¬ ning und den vielen Quaͤngeleyen ſehen, die man die¬ ſem großen Staatsmanne macht.“
Wir ſtanden auf, um zu gehen. Goethe aber war ſo voller Leben, daß das Geſpraͤch noch eine Weile ſte¬ hend fortgeſetzt wurde. Dann entließ er uns liebevoll und ich begleitete den Canzler nach ſeiner Wohnung. Es war ein ſchoͤner Abend und wir ſprachen im Gehen
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aus! das verſteht er. Bin ich aber mit einem Freunde
und ich wuͤnſche von ihm dieſen Dienſt, ſo kann ich
mich nicht ſo direct ausdruͤcken, ſondern ich muß auf
eine anmuthige, freundliche Wendung ſinnen, wodurch
ich ihn zu dieſem Liebesdienſt bewege. Die Noͤthigung
regt den Geiſt auf und aus dieſem Grunde, wie geſagt,
iſt mir die Einſchraͤnkung der Preßfreyheit ſogar lieb.
Die Franzoſen haben bisher immer den Ruhm gehabt,
die geiſtreichſte Nation zu ſeyn, und ſie verdienen es zu
bleiben. Wir Deutſchen fallen mit unſerer Meinung
gerne gerade heraus und haben es im Indirecten noch
nicht ſehr weit gebracht.“
„Die Pariſer Parteyen, fuhr Goethe fort, koͤnnten
noch groͤßer ſeyn als ſie ſind, wenn ſie noch liberaler
und freyer waͤren und ſich gegenſeitig noch mehr zuge¬
ſtaͤnden als ſie thun. Sie ſtehen auf einer hoͤheren
Stufe welthiſtoriſcher Anſicht als die Englaͤnder, deren
Parlament gegeneinanderwirkende gewaltige Kraͤfte ſind,
die ſich paralyſiren und wo die große Einſicht eines
Einzelnen Muͤhe hat durchzudringen, wie wir an Can¬
ning und den vielen Quaͤngeleyen ſehen, die man die¬
ſem großen Staatsmanne macht.“
Wir ſtanden auf, um zu gehen. Goethe aber war
ſo voller Leben, daß das Geſpraͤch noch eine Weile ſte¬
hend fortgeſetzt wurde. Dann entließ er uns liebevoll
und ich begleitete den Canzler nach ſeiner Wohnung.
Es war ein ſchoͤner Abend und wir ſprachen im Gehen
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/390>, abgerufen am 22.11.2024.
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