Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

aus! das versteht er. Bin ich aber mit einem Freunde
und ich wünsche von ihm diesen Dienst, so kann ich
mich nicht so direct ausdrücken, sondern ich muß auf
eine anmuthige, freundliche Wendung sinnen, wodurch
ich ihn zu diesem Liebesdienst bewege. Die Nöthigung
regt den Geist auf und aus diesem Grunde, wie gesagt,
ist mir die Einschränkung der Preßfreyheit sogar lieb.
Die Franzosen haben bisher immer den Ruhm gehabt,
die geistreichste Nation zu seyn, und sie verdienen es zu
bleiben. Wir Deutschen fallen mit unserer Meinung
gerne gerade heraus und haben es im Indirecten noch
nicht sehr weit gebracht."

"Die Pariser Parteyen, fuhr Goethe fort, könnten
noch größer seyn als sie sind, wenn sie noch liberaler
und freyer wären und sich gegenseitig noch mehr zuge¬
ständen als sie thun. Sie stehen auf einer höheren
Stufe welthistorischer Ansicht als die Engländer, deren
Parlament gegeneinanderwirkende gewaltige Kräfte sind,
die sich paralysiren und wo die große Einsicht eines
Einzelnen Mühe hat durchzudringen, wie wir an Can¬
ning und den vielen Quängeleyen sehen, die man die¬
sem großen Staatsmanne macht."

Wir standen auf, um zu gehen. Goethe aber war
so voller Leben, daß das Gespräch noch eine Weile ste¬
hend fortgesetzt wurde. Dann entließ er uns liebevoll
und ich begleitete den Canzler nach seiner Wohnung.
Es war ein schöner Abend und wir sprachen im Gehen

aus! das verſteht er. Bin ich aber mit einem Freunde
und ich wuͤnſche von ihm dieſen Dienſt, ſo kann ich
mich nicht ſo direct ausdruͤcken, ſondern ich muß auf
eine anmuthige, freundliche Wendung ſinnen, wodurch
ich ihn zu dieſem Liebesdienſt bewege. Die Noͤthigung
regt den Geiſt auf und aus dieſem Grunde, wie geſagt,
iſt mir die Einſchraͤnkung der Preßfreyheit ſogar lieb.
Die Franzoſen haben bisher immer den Ruhm gehabt,
die geiſtreichſte Nation zu ſeyn, und ſie verdienen es zu
bleiben. Wir Deutſchen fallen mit unſerer Meinung
gerne gerade heraus und haben es im Indirecten noch
nicht ſehr weit gebracht.“

„Die Pariſer Parteyen, fuhr Goethe fort, koͤnnten
noch groͤßer ſeyn als ſie ſind, wenn ſie noch liberaler
und freyer waͤren und ſich gegenſeitig noch mehr zuge¬
ſtaͤnden als ſie thun. Sie ſtehen auf einer hoͤheren
Stufe welthiſtoriſcher Anſicht als die Englaͤnder, deren
Parlament gegeneinanderwirkende gewaltige Kraͤfte ſind,
die ſich paralyſiren und wo die große Einſicht eines
Einzelnen Muͤhe hat durchzudringen, wie wir an Can¬
ning und den vielen Quaͤngeleyen ſehen, die man die¬
ſem großen Staatsmanne macht.“

Wir ſtanden auf, um zu gehen. Goethe aber war
ſo voller Leben, daß das Geſpraͤch noch eine Weile ſte¬
hend fortgeſetzt wurde. Dann entließ er uns liebevoll
und ich begleitete den Canzler nach ſeiner Wohnung.
Es war ein ſchoͤner Abend und wir ſprachen im Gehen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0390" n="370"/>
aus! das ver&#x017F;teht er. Bin ich aber mit einem Freunde<lb/>
und ich wu&#x0364;n&#x017F;che von ihm die&#x017F;en Dien&#x017F;t, &#x017F;o kann ich<lb/>
mich nicht &#x017F;o direct ausdru&#x0364;cken, &#x017F;ondern ich muß auf<lb/>
eine anmuthige, freundliche Wendung &#x017F;innen, wodurch<lb/>
ich ihn zu die&#x017F;em Liebesdien&#x017F;t bewege. Die No&#x0364;thigung<lb/>
regt den Gei&#x017F;t auf und aus die&#x017F;em Grunde, wie ge&#x017F;agt,<lb/>
i&#x017F;t mir die Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung der Preßfreyheit &#x017F;ogar lieb.<lb/>
Die Franzo&#x017F;en haben bisher immer den Ruhm gehabt,<lb/>
die gei&#x017F;treich&#x017F;te Nation zu &#x017F;eyn, und &#x017F;ie verdienen es zu<lb/>
bleiben. Wir Deut&#x017F;chen fallen mit un&#x017F;erer Meinung<lb/>
gerne gerade heraus und haben es im Indirecten noch<lb/>
nicht &#x017F;ehr weit gebracht.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Die Pari&#x017F;er Parteyen, fuhr Goethe fort, ko&#x0364;nnten<lb/>
noch gro&#x0364;ßer &#x017F;eyn als &#x017F;ie &#x017F;ind, wenn &#x017F;ie noch liberaler<lb/>
und freyer wa&#x0364;ren und &#x017F;ich gegen&#x017F;eitig noch mehr zuge¬<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nden als &#x017F;ie thun. Sie &#x017F;tehen auf einer ho&#x0364;heren<lb/>
Stufe welthi&#x017F;tori&#x017F;cher An&#x017F;icht als die Engla&#x0364;nder, deren<lb/>
Parlament gegeneinanderwirkende gewaltige Kra&#x0364;fte &#x017F;ind,<lb/>
die &#x017F;ich paraly&#x017F;iren und wo die große Ein&#x017F;icht eines<lb/>
Einzelnen Mu&#x0364;he hat durchzudringen, wie wir an Can¬<lb/>
ning und den vielen Qua&#x0364;ngeleyen &#x017F;ehen, die man die¬<lb/>
&#x017F;em großen Staatsmanne macht.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Wir &#x017F;tanden auf, um zu gehen. Goethe aber war<lb/>
&#x017F;o voller Leben, daß das Ge&#x017F;pra&#x0364;ch noch eine Weile &#x017F;te¬<lb/>
hend fortge&#x017F;etzt wurde. Dann entließ er uns liebevoll<lb/>
und ich begleitete den Canzler nach &#x017F;einer Wohnung.<lb/>
Es war ein &#x017F;cho&#x0364;ner Abend und wir &#x017F;prachen im Gehen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[370/0390] aus! das verſteht er. Bin ich aber mit einem Freunde und ich wuͤnſche von ihm dieſen Dienſt, ſo kann ich mich nicht ſo direct ausdruͤcken, ſondern ich muß auf eine anmuthige, freundliche Wendung ſinnen, wodurch ich ihn zu dieſem Liebesdienſt bewege. Die Noͤthigung regt den Geiſt auf und aus dieſem Grunde, wie geſagt, iſt mir die Einſchraͤnkung der Preßfreyheit ſogar lieb. Die Franzoſen haben bisher immer den Ruhm gehabt, die geiſtreichſte Nation zu ſeyn, und ſie verdienen es zu bleiben. Wir Deutſchen fallen mit unſerer Meinung gerne gerade heraus und haben es im Indirecten noch nicht ſehr weit gebracht.“ „Die Pariſer Parteyen, fuhr Goethe fort, koͤnnten noch groͤßer ſeyn als ſie ſind, wenn ſie noch liberaler und freyer waͤren und ſich gegenſeitig noch mehr zuge¬ ſtaͤnden als ſie thun. Sie ſtehen auf einer hoͤheren Stufe welthiſtoriſcher Anſicht als die Englaͤnder, deren Parlament gegeneinanderwirkende gewaltige Kraͤfte ſind, die ſich paralyſiren und wo die große Einſicht eines Einzelnen Muͤhe hat durchzudringen, wie wir an Can¬ ning und den vielen Quaͤngeleyen ſehen, die man die¬ ſem großen Staatsmanne macht.“ Wir ſtanden auf, um zu gehen. Goethe aber war ſo voller Leben, daß das Geſpraͤch noch eine Weile ſte¬ hend fortgeſetzt wurde. Dann entließ er uns liebevoll und ich begleitete den Canzler nach ſeiner Wohnung. Es war ein ſchoͤner Abend und wir ſprachen im Gehen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/390
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/390>, abgerufen am 16.07.2024.