einen Kupferstich, der nach dem ausgeführten Bilde gemacht war und man konnte viele Betrachtungen an¬ stellen, die alle zu Gunsten der Handzeichnung hinaus¬ liefen.
"Ich bin in dieser Zeit so glücklich gewesen, sagte Goethe, viele treffliche Handzeichnungen berühmter Mei¬ ster um ein Billiges zu kaufen. Solche Zeichnungen sind unschätzbar, nicht allein, weil sie die rein geistige Intention des Künstlers geben, sondern auch, weil sie uns unmittelbar in die Stimmung versetzen, in welcher der Künstler sich in dem Augenblick des Schaffens befand. Aus dieser Zeichnung des Jesusknaben im Tempel blickt aus allen Zügen große Klarheit und heitere stille Ent¬ schiedenheit im Gemüthe des Künstlers, welche wohl¬ thätige Stimmung in uns übergeht, so wie wir das Bild betrachten. Zudem hat die bildende Kunst den großen Vortheil, daß sie rein objectiver Natur ist, und uns zu sich herannöthiget, ohne unsere Empfindungen heftig anzuregen. Ein solches Werk steht da und spricht entweder gar nicht, oder auf eine ganz entschiedene Weise. Ein Gedicht dagegen macht einen weit vageren Eindruck, es erregt die Empfindungen und bey Jedem andere, nach der Natur und Fähigkeit des Hörers."
Ich habe, sagte ich, dieser Tage den trefflichen eng¬ lischen Roman Roderik Random von Smollet gelesen; dieser kam dem Eindruck einer guten Handzeichnung sehr nahe. Eine unmittelbare Darstellung, keine Spur
einen Kupferſtich, der nach dem ausgefuͤhrten Bilde gemacht war und man konnte viele Betrachtungen an¬ ſtellen, die alle zu Gunſten der Handzeichnung hinaus¬ liefen.
„Ich bin in dieſer Zeit ſo gluͤcklich geweſen, ſagte Goethe, viele treffliche Handzeichnungen beruͤhmter Mei¬ ſter um ein Billiges zu kaufen. Solche Zeichnungen ſind unſchaͤtzbar, nicht allein, weil ſie die rein geiſtige Intention des Kuͤnſtlers geben, ſondern auch, weil ſie uns unmittelbar in die Stimmung verſetzen, in welcher der Kuͤnſtler ſich in dem Augenblick des Schaffens befand. Aus dieſer Zeichnung des Jeſusknaben im Tempel blickt aus allen Zuͤgen große Klarheit und heitere ſtille Ent¬ ſchiedenheit im Gemuͤthe des Kuͤnſtlers, welche wohl¬ thaͤtige Stimmung in uns uͤbergeht, ſo wie wir das Bild betrachten. Zudem hat die bildende Kunſt den großen Vortheil, daß ſie rein objectiver Natur iſt, und uns zu ſich herannoͤthiget, ohne unſere Empfindungen heftig anzuregen. Ein ſolches Werk ſteht da und ſpricht entweder gar nicht, oder auf eine ganz entſchiedene Weiſe. Ein Gedicht dagegen macht einen weit vageren Eindruck, es erregt die Empfindungen und bey Jedem andere, nach der Natur und Faͤhigkeit des Hoͤrers.“
Ich habe, ſagte ich, dieſer Tage den trefflichen eng¬ liſchen Roman Roderik Random von Smollet geleſen; dieſer kam dem Eindruck einer guten Handzeichnung ſehr nahe. Eine unmittelbare Darſtellung, keine Spur
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einen Kupferſtich, der nach dem ausgefuͤhrten Bilde
gemacht war und man konnte viele Betrachtungen an¬
ſtellen, die alle zu Gunſten der Handzeichnung hinaus¬
liefen.
„Ich bin in dieſer Zeit ſo gluͤcklich geweſen, ſagte
Goethe, viele treffliche Handzeichnungen beruͤhmter Mei¬
ſter um ein Billiges zu kaufen. Solche Zeichnungen
ſind unſchaͤtzbar, nicht allein, weil ſie die rein geiſtige
Intention des Kuͤnſtlers geben, ſondern auch, weil ſie
uns unmittelbar in die Stimmung verſetzen, in welcher
der Kuͤnſtler ſich in dem Augenblick des Schaffens befand.
Aus dieſer Zeichnung des Jeſusknaben im Tempel blickt
aus allen Zuͤgen große Klarheit und heitere ſtille Ent¬
ſchiedenheit im Gemuͤthe des Kuͤnſtlers, welche wohl¬
thaͤtige Stimmung in uns uͤbergeht, ſo wie wir das
Bild betrachten. Zudem hat die bildende Kunſt den
großen Vortheil, daß ſie rein objectiver Natur iſt, und
uns zu ſich herannoͤthiget, ohne unſere Empfindungen
heftig anzuregen. Ein ſolches Werk ſteht da und ſpricht
entweder gar nicht, oder auf eine ganz entſchiedene Weiſe.
Ein Gedicht dagegen macht einen weit vageren Eindruck,
es erregt die Empfindungen und bey Jedem andere, nach
der Natur und Faͤhigkeit des Hoͤrers.“
Ich habe, ſagte ich, dieſer Tage den trefflichen eng¬
liſchen Roman Roderik Random von Smollet geleſen;
dieſer kam dem Eindruck einer guten Handzeichnung
ſehr nahe. Eine unmittelbare Darſtellung, keine Spur
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/381>, abgerufen am 22.11.2024.
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