Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

einen Kupferstich, der nach dem ausgeführten Bilde
gemacht war und man konnte viele Betrachtungen an¬
stellen, die alle zu Gunsten der Handzeichnung hinaus¬
liefen.

"Ich bin in dieser Zeit so glücklich gewesen, sagte
Goethe, viele treffliche Handzeichnungen berühmter Mei¬
ster um ein Billiges zu kaufen. Solche Zeichnungen
sind unschätzbar, nicht allein, weil sie die rein geistige
Intention des Künstlers geben, sondern auch, weil sie
uns unmittelbar in die Stimmung versetzen, in welcher
der Künstler sich in dem Augenblick des Schaffens befand.
Aus dieser Zeichnung des Jesusknaben im Tempel blickt
aus allen Zügen große Klarheit und heitere stille Ent¬
schiedenheit im Gemüthe des Künstlers, welche wohl¬
thätige Stimmung in uns übergeht, so wie wir das
Bild betrachten. Zudem hat die bildende Kunst den
großen Vortheil, daß sie rein objectiver Natur ist, und
uns zu sich herannöthiget, ohne unsere Empfindungen
heftig anzuregen. Ein solches Werk steht da und spricht
entweder gar nicht, oder auf eine ganz entschiedene Weise.
Ein Gedicht dagegen macht einen weit vageren Eindruck,
es erregt die Empfindungen und bey Jedem andere, nach
der Natur und Fähigkeit des Hörers."

Ich habe, sagte ich, dieser Tage den trefflichen eng¬
lischen Roman Roderik Random von Smollet gelesen;
dieser kam dem Eindruck einer guten Handzeichnung
sehr nahe. Eine unmittelbare Darstellung, keine Spur

einen Kupferſtich, der nach dem ausgefuͤhrten Bilde
gemacht war und man konnte viele Betrachtungen an¬
ſtellen, die alle zu Gunſten der Handzeichnung hinaus¬
liefen.

„Ich bin in dieſer Zeit ſo gluͤcklich geweſen, ſagte
Goethe, viele treffliche Handzeichnungen beruͤhmter Mei¬
ſter um ein Billiges zu kaufen. Solche Zeichnungen
ſind unſchaͤtzbar, nicht allein, weil ſie die rein geiſtige
Intention des Kuͤnſtlers geben, ſondern auch, weil ſie
uns unmittelbar in die Stimmung verſetzen, in welcher
der Kuͤnſtler ſich in dem Augenblick des Schaffens befand.
Aus dieſer Zeichnung des Jeſusknaben im Tempel blickt
aus allen Zuͤgen große Klarheit und heitere ſtille Ent¬
ſchiedenheit im Gemuͤthe des Kuͤnſtlers, welche wohl¬
thaͤtige Stimmung in uns uͤbergeht, ſo wie wir das
Bild betrachten. Zudem hat die bildende Kunſt den
großen Vortheil, daß ſie rein objectiver Natur iſt, und
uns zu ſich herannoͤthiget, ohne unſere Empfindungen
heftig anzuregen. Ein ſolches Werk ſteht da und ſpricht
entweder gar nicht, oder auf eine ganz entſchiedene Weiſe.
Ein Gedicht dagegen macht einen weit vageren Eindruck,
es erregt die Empfindungen und bey Jedem andere, nach
der Natur und Faͤhigkeit des Hoͤrers.“

Ich habe, ſagte ich, dieſer Tage den trefflichen eng¬
liſchen Roman Roderik Random von Smollet geleſen;
dieſer kam dem Eindruck einer guten Handzeichnung
ſehr nahe. Eine unmittelbare Darſtellung, keine Spur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0381" n="361"/>
einen Kupfer&#x017F;tich, der nach dem ausgefu&#x0364;hrten Bilde<lb/>
gemacht war und man konnte viele Betrachtungen an¬<lb/>
&#x017F;tellen, die alle zu Gun&#x017F;ten der Handzeichnung hinaus¬<lb/>
liefen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich bin in die&#x017F;er Zeit &#x017F;o glu&#x0364;cklich gewe&#x017F;en, &#x017F;agte<lb/>
Goethe, viele treffliche Handzeichnungen beru&#x0364;hmter Mei¬<lb/>
&#x017F;ter um ein Billiges zu kaufen. Solche Zeichnungen<lb/>
&#x017F;ind un&#x017F;cha&#x0364;tzbar, nicht allein, weil &#x017F;ie die rein gei&#x017F;tige<lb/>
Intention des Ku&#x0364;n&#x017F;tlers geben, &#x017F;ondern auch, weil &#x017F;ie<lb/>
uns unmittelbar in die Stimmung ver&#x017F;etzen, in welcher<lb/>
der Ku&#x0364;n&#x017F;tler &#x017F;ich in dem Augenblick des Schaffens befand.<lb/>
Aus die&#x017F;er Zeichnung des Je&#x017F;usknaben im Tempel blickt<lb/>
aus allen Zu&#x0364;gen große Klarheit und heitere &#x017F;tille Ent¬<lb/>
&#x017F;chiedenheit im Gemu&#x0364;the des Ku&#x0364;n&#x017F;tlers, welche wohl¬<lb/>
tha&#x0364;tige Stimmung in uns u&#x0364;bergeht, &#x017F;o wie wir das<lb/>
Bild betrachten. Zudem hat die bildende Kun&#x017F;t den<lb/>
großen Vortheil, daß &#x017F;ie rein objectiver Natur i&#x017F;t, und<lb/>
uns zu &#x017F;ich heranno&#x0364;thiget, ohne un&#x017F;ere Empfindungen<lb/>
heftig anzuregen. Ein &#x017F;olches Werk &#x017F;teht da und &#x017F;pricht<lb/>
entweder gar nicht, oder auf eine ganz ent&#x017F;chiedene Wei&#x017F;e.<lb/>
Ein Gedicht dagegen macht einen weit vageren Eindruck,<lb/>
es erregt die Empfindungen und bey Jedem andere, nach<lb/>
der Natur und Fa&#x0364;higkeit des Ho&#x0364;rers.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich habe, &#x017F;agte ich, die&#x017F;er Tage den trefflichen eng¬<lb/>
li&#x017F;chen Roman Roderik Random von Smollet gele&#x017F;en;<lb/>
die&#x017F;er kam dem Eindruck einer guten Handzeichnung<lb/>
&#x017F;ehr nahe. Eine unmittelbare Dar&#x017F;tellung, keine Spur<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[361/0381] einen Kupferſtich, der nach dem ausgefuͤhrten Bilde gemacht war und man konnte viele Betrachtungen an¬ ſtellen, die alle zu Gunſten der Handzeichnung hinaus¬ liefen. „Ich bin in dieſer Zeit ſo gluͤcklich geweſen, ſagte Goethe, viele treffliche Handzeichnungen beruͤhmter Mei¬ ſter um ein Billiges zu kaufen. Solche Zeichnungen ſind unſchaͤtzbar, nicht allein, weil ſie die rein geiſtige Intention des Kuͤnſtlers geben, ſondern auch, weil ſie uns unmittelbar in die Stimmung verſetzen, in welcher der Kuͤnſtler ſich in dem Augenblick des Schaffens befand. Aus dieſer Zeichnung des Jeſusknaben im Tempel blickt aus allen Zuͤgen große Klarheit und heitere ſtille Ent¬ ſchiedenheit im Gemuͤthe des Kuͤnſtlers, welche wohl¬ thaͤtige Stimmung in uns uͤbergeht, ſo wie wir das Bild betrachten. Zudem hat die bildende Kunſt den großen Vortheil, daß ſie rein objectiver Natur iſt, und uns zu ſich herannoͤthiget, ohne unſere Empfindungen heftig anzuregen. Ein ſolches Werk ſteht da und ſpricht entweder gar nicht, oder auf eine ganz entſchiedene Weiſe. Ein Gedicht dagegen macht einen weit vageren Eindruck, es erregt die Empfindungen und bey Jedem andere, nach der Natur und Faͤhigkeit des Hoͤrers.“ Ich habe, ſagte ich, dieſer Tage den trefflichen eng¬ liſchen Roman Roderik Random von Smollet geleſen; dieſer kam dem Eindruck einer guten Handzeichnung ſehr nahe. Eine unmittelbare Darſtellung, keine Spur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/381
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/381>, abgerufen am 22.11.2024.