worden. Die Kugel, auf der mein Name nicht ge¬ schrieben steht, wird mich nicht treffen, sagt der Sol¬ dat in der Schlacht, und wie sollte er ohne diese Zu¬ versicht in den dringendsten Gefahren Muth und Heiter¬ keit behalten! Die Lehre des christlichen Glaubens: kein Sperling fällt vom Dache ohne den Willen eures Vaters, ist aus derselbigen Quelle hervorgegangen, und deutet auf eine Vorsehung, die das Kleinste im Auge hält und ohne deren Willen und Zulassen nichts geschehen kann."
"Sodann ihren Unterricht in der Philosophie begin¬ nen die Mohamedaner mit der Lehre: daß nichts existire, wovon sich nicht das Gegentheil sagen lasse; und so üben sie den Geist der Jugend, indem sie ihre Aufgaben darin bestehen lassen, von jeder aufgestellten Behaup¬ tung die entgegengesetzte Meinung zu finden und aus¬ zusprechen, woraus eine große Gewandtheit im Denken und Reden hervorgehen muß."
"Nun aber, nachdem von jedem aufgestellten Satze das Gegentheil behauptet worden, entsteht der Zwei¬ fel welches denn von Beyden das eigentlich Wahre sey. Im Zweifel aber ist kein Verharren, sondern er treibt den Geist zu näherer Untersuchung und Prü¬ fung, woraus denn, wenn diese auf eine vollkommene Weise geschieht, die Gewißheit hervorgeht, welches das Ziel ist, worin der Mensch seine völlige Beruhi¬ gung findet."
worden. Die Kugel, auf der mein Name nicht ge¬ ſchrieben ſteht, wird mich nicht treffen, ſagt der Sol¬ dat in der Schlacht, und wie ſollte er ohne dieſe Zu¬ verſicht in den dringendſten Gefahren Muth und Heiter¬ keit behalten! Die Lehre des chriſtlichen Glaubens: kein Sperling faͤllt vom Dache ohne den Willen eures Vaters, iſt aus derſelbigen Quelle hervorgegangen, und deutet auf eine Vorſehung, die das Kleinſte im Auge haͤlt und ohne deren Willen und Zulaſſen nichts geſchehen kann.“
„Sodann ihren Unterricht in der Philoſophie begin¬ nen die Mohamedaner mit der Lehre: daß nichts exiſtire, wovon ſich nicht das Gegentheil ſagen laſſe; und ſo uͤben ſie den Geiſt der Jugend, indem ſie ihre Aufgaben darin beſtehen laſſen, von jeder aufgeſtellten Behaup¬ tung die entgegengeſetzte Meinung zu finden und aus¬ zuſprechen, woraus eine große Gewandtheit im Denken und Reden hervorgehen muß.“
„Nun aber, nachdem von jedem aufgeſtellten Satze das Gegentheil behauptet worden, entſteht der Zwei¬ fel welches denn von Beyden das eigentlich Wahre ſey. Im Zweifel aber iſt kein Verharren, ſondern er treibt den Geiſt zu naͤherer Unterſuchung und Pruͤ¬ fung, woraus denn, wenn dieſe auf eine vollkommene Weiſe geſchieht, die Gewißheit hervorgeht, welches das Ziel iſt, worin der Menſch ſeine voͤllige Beruhi¬ gung findet.“
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worden. Die Kugel, auf der mein Name nicht ge¬
ſchrieben ſteht, wird mich nicht treffen, ſagt der Sol¬
dat in der Schlacht, und wie ſollte er ohne dieſe Zu¬
verſicht in den dringendſten Gefahren Muth und Heiter¬
keit behalten! Die Lehre des chriſtlichen Glaubens: kein
Sperling faͤllt vom Dache ohne den Willen eures Vaters,
iſt aus derſelbigen Quelle hervorgegangen, und deutet
auf eine Vorſehung, die das Kleinſte im Auge haͤlt
und ohne deren Willen und Zulaſſen nichts geſchehen
kann.“
„Sodann ihren Unterricht in der Philoſophie begin¬
nen die Mohamedaner mit der Lehre: daß nichts exiſtire,
wovon ſich nicht das Gegentheil ſagen laſſe; und ſo
uͤben ſie den Geiſt der Jugend, indem ſie ihre Aufgaben
darin beſtehen laſſen, von jeder aufgeſtellten Behaup¬
tung die entgegengeſetzte Meinung zu finden und aus¬
zuſprechen, woraus eine große Gewandtheit im Denken
und Reden hervorgehen muß.“
„Nun aber, nachdem von jedem aufgeſtellten Satze
das Gegentheil behauptet worden, entſteht der Zwei¬
fel welches denn von Beyden das eigentlich Wahre
ſey. Im Zweifel aber iſt kein Verharren, ſondern er
treibt den Geiſt zu naͤherer Unterſuchung und Pruͤ¬
fung, woraus denn, wenn dieſe auf eine vollkommene
Weiſe geſchieht, die Gewißheit hervorgeht, welches
das Ziel iſt, worin der Menſch ſeine voͤllige Beruhi¬
gung findet.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/370>, abgerufen am 25.11.2024.
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