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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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Goethe, diese Wolken würden sogleich von oben herein
verzehrt und aufgesponnen werden wie ein Rocken. So
stark ist mein Glauben an das Barometer. Ja ich sage
immer und behaupte: wäre in jener Nacht der großen
Überschwemmung von Petersburg das Barometer gestie¬
gen, die Welle hätte nicht herangekonnt."

"Mein Sohn glaubt beym Wetter an den Einfluß
des Mondes und Sie glauben vielleicht auch daran, und
ich verdenke es euch nicht, denn der Mond erscheint als
ein zu bedeutendes Gestirn, als daß man ihm nicht eine
entschiedene Einwirkung auf unsere Erde zuschreiben
sollte; allein die Veränderung des Wetters, der höhere
oder tiefere Stand des Barometers rührt nicht vom
Mondwechsel her, sondern ist rein tellurisch."

"Ich denke mir die Erde mit ihrem Dunstkreise
gleichnißweise als ein großes lebendiges Wesen, das im
ewigen Ein- und Aus-Athmen begriffen ist. Athmet
die Erde ein, so zieht sie den Dunstkreis an sich, so
daß er in die Nähe ihrer Oberfläche herankommt und
sich verdichtet bis zu Wolken und Regen. Diesen Zu¬
stand nenne ich die Wasser-Bejahung; dauerte er über
alle Ordnung fort, so würde er die Erde ersäufen. Dieß
aber giebt sie nicht zu; sie athmet wieder aus und ent¬
läßt die Wasserdünste nach oben, wo sie sich in den
ganzen Raum der hohen Atmosphäre ausbreiten und
sich dergestalt verdünnen, daß nicht allein die Sonne
glänzend herdurchgeht, sondern auch sogar die ewige

Goethe, dieſe Wolken wuͤrden ſogleich von oben herein
verzehrt und aufgeſponnen werden wie ein Rocken. So
ſtark iſt mein Glauben an das Barometer. Ja ich ſage
immer und behaupte: waͤre in jener Nacht der großen
Überſchwemmung von Petersburg das Barometer geſtie¬
gen, die Welle haͤtte nicht herangekonnt.“

„Mein Sohn glaubt beym Wetter an den Einfluß
des Mondes und Sie glauben vielleicht auch daran, und
ich verdenke es euch nicht, denn der Mond erſcheint als
ein zu bedeutendes Geſtirn, als daß man ihm nicht eine
entſchiedene Einwirkung auf unſere Erde zuſchreiben
ſollte; allein die Veraͤnderung des Wetters, der hoͤhere
oder tiefere Stand des Barometers ruͤhrt nicht vom
Mondwechſel her, ſondern iſt rein telluriſch.“

„Ich denke mir die Erde mit ihrem Dunſtkreiſe
gleichnißweiſe als ein großes lebendiges Weſen, das im
ewigen Ein- und Aus-Athmen begriffen iſt. Athmet
die Erde ein, ſo zieht ſie den Dunſtkreis an ſich, ſo
daß er in die Naͤhe ihrer Oberflaͤche herankommt und
ſich verdichtet bis zu Wolken und Regen. Dieſen Zu¬
ſtand nenne ich die Waſſer-Bejahung; dauerte er uͤber
alle Ordnung fort, ſo wuͤrde er die Erde erſaͤufen. Dieß
aber giebt ſie nicht zu; ſie athmet wieder aus und ent¬
laͤßt die Waſſerduͤnſte nach oben, wo ſie ſich in den
ganzen Raum der hohen Atmoſphaͤre ausbreiten und
ſich dergeſtalt verduͤnnen, daß nicht allein die Sonne
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[345/0365] Goethe, dieſe Wolken wuͤrden ſogleich von oben herein verzehrt und aufgeſponnen werden wie ein Rocken. So ſtark iſt mein Glauben an das Barometer. Ja ich ſage immer und behaupte: waͤre in jener Nacht der großen Überſchwemmung von Petersburg das Barometer geſtie¬ gen, die Welle haͤtte nicht herangekonnt.“ „Mein Sohn glaubt beym Wetter an den Einfluß des Mondes und Sie glauben vielleicht auch daran, und ich verdenke es euch nicht, denn der Mond erſcheint als ein zu bedeutendes Geſtirn, als daß man ihm nicht eine entſchiedene Einwirkung auf unſere Erde zuſchreiben ſollte; allein die Veraͤnderung des Wetters, der hoͤhere oder tiefere Stand des Barometers ruͤhrt nicht vom Mondwechſel her, ſondern iſt rein telluriſch.“ „Ich denke mir die Erde mit ihrem Dunſtkreiſe gleichnißweiſe als ein großes lebendiges Weſen, das im ewigen Ein- und Aus-Athmen begriffen iſt. Athmet die Erde ein, ſo zieht ſie den Dunſtkreis an ſich, ſo daß er in die Naͤhe ihrer Oberflaͤche herankommt und ſich verdichtet bis zu Wolken und Regen. Dieſen Zu¬ ſtand nenne ich die Waſſer-Bejahung; dauerte er uͤber alle Ordnung fort, ſo wuͤrde er die Erde erſaͤufen. Dieß aber giebt ſie nicht zu; ſie athmet wieder aus und ent¬ laͤßt die Waſſerduͤnſte nach oben, wo ſie ſich in den ganzen Raum der hohen Atmoſphaͤre ausbreiten und ſich dergeſtalt verduͤnnen, daß nicht allein die Sonne glaͤnzend herdurchgeht, ſondern auch ſogar die ewige

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/365>, abgerufen am 22.11.2024.