Stück auch in den Zwischenacten traurige niederschla¬ gende Musik hören läßt, so wird man von einem uner¬ träglichen Gefühl gepeinigt, dem man gerne auf alle Weise entfliehen möchte.
"Vielleicht, sagte Goethe, beruhen auch die einge¬ flochtenen heiteren Scenen in den Shakspearischen Trauer¬ spielen auf diesem Gesetz des geforderten Wechsels; allein auf die höhere Tragödie der Griechen scheint es nicht anwendbar, vielmehr geht bey dieser ein gewisser Grund¬ ton durch das Ganze."
Die griechische Tragödie, sagte ich, ist auch nicht von solcher Länge, daß sie bey einem durchgehenden gleichen Ton ermüden könnte; und dann wechseln auch Chöre und Dialog und der erhabene Sinn ist von sol¬ cher Art, daß er nicht lästig werden kann, indem immer eine gewisse tüchtige Realität zum Grunde liegt, die stets heiterer Natur ist.
"Sie mögen Recht haben, sagte Goethe, und es wäre wohl der Mühe werth zu untersuchen, in wiefern auch die griechische Tragödie dem allgemeinen Gesetze des geforderten Wechsels unterworfen ist. Aber Sie sehen, wie alles aneinander hängt, und wie sogar ein Gesetz der Farbenlehre auf eine Untersuchung der griechischen Tragödie führen kann. Nur muß man sich hüten, es mit einem solchen Gesetz zu weit treiben und es als Grundlage für vieles andere machen zu wollen; viel¬ mehr geht man sicherer, wenn man es immer nur
Stuͤck auch in den Zwiſchenacten traurige niederſchla¬ gende Muſik hoͤren laͤßt, ſo wird man von einem uner¬ traͤglichen Gefuͤhl gepeinigt, dem man gerne auf alle Weiſe entfliehen moͤchte.
„Vielleicht, ſagte Goethe, beruhen auch die einge¬ flochtenen heiteren Scenen in den Shakſpeariſchen Trauer¬ ſpielen auf dieſem Geſetz des geforderten Wechſels; allein auf die hoͤhere Tragoͤdie der Griechen ſcheint es nicht anwendbar, vielmehr geht bey dieſer ein gewiſſer Grund¬ ton durch das Ganze.“
Die griechiſche Tragoͤdie, ſagte ich, iſt auch nicht von ſolcher Laͤnge, daß ſie bey einem durchgehenden gleichen Ton ermuͤden koͤnnte; und dann wechſeln auch Choͤre und Dialog und der erhabene Sinn iſt von ſol¬ cher Art, daß er nicht laͤſtig werden kann, indem immer eine gewiſſe tuͤchtige Realitaͤt zum Grunde liegt, die ſtets heiterer Natur iſt.
„Sie moͤgen Recht haben, ſagte Goethe, und es waͤre wohl der Muͤhe werth zu unterſuchen, in wiefern auch die griechiſche Tragoͤdie dem allgemeinen Geſetze des geforderten Wechſels unterworfen iſt. Aber Sie ſehen, wie alles aneinander haͤngt, und wie ſogar ein Geſetz der Farbenlehre auf eine Unterſuchung der griechiſchen Tragoͤdie fuͤhren kann. Nur muß man ſich huͤten, es mit einem ſolchen Geſetz zu weit treiben und es als Grundlage fuͤr vieles andere machen zu wollen; viel¬ mehr geht man ſicherer, wenn man es immer nur
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Stuͤck auch in den Zwiſchenacten traurige niederſchla¬
gende Muſik hoͤren laͤßt, ſo wird man von einem uner¬
traͤglichen Gefuͤhl gepeinigt, dem man gerne auf alle
Weiſe entfliehen moͤchte.
„Vielleicht, ſagte Goethe, beruhen auch die einge¬
flochtenen heiteren Scenen in den Shakſpeariſchen Trauer¬
ſpielen auf dieſem Geſetz des geforderten Wechſels; allein
auf die hoͤhere Tragoͤdie der Griechen ſcheint es nicht
anwendbar, vielmehr geht bey dieſer ein gewiſſer Grund¬
ton durch das Ganze.“
Die griechiſche Tragoͤdie, ſagte ich, iſt auch nicht
von ſolcher Laͤnge, daß ſie bey einem durchgehenden
gleichen Ton ermuͤden koͤnnte; und dann wechſeln auch
Choͤre und Dialog und der erhabene Sinn iſt von ſol¬
cher Art, daß er nicht laͤſtig werden kann, indem immer
eine gewiſſe tuͤchtige Realitaͤt zum Grunde liegt, die
ſtets heiterer Natur iſt.
„Sie moͤgen Recht haben, ſagte Goethe, und es
waͤre wohl der Muͤhe werth zu unterſuchen, in wiefern
auch die griechiſche Tragoͤdie dem allgemeinen Geſetze des
geforderten Wechſels unterworfen iſt. Aber Sie ſehen,
wie alles aneinander haͤngt, und wie ſogar ein Geſetz
der Farbenlehre auf eine Unterſuchung der griechiſchen
Tragoͤdie fuͤhren kann. Nur muß man ſich huͤten, es
mit einem ſolchen Geſetz zu weit treiben und es als
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/353>, abgerufen am 22.11.2024.
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