wenn wir die Abende, die wir zusammenkommen, die ganze Farbenlehre mit einander durchlesen. Dadurch haben wir immer einen soliden Gegenstand der Unter¬ haltung, und Sie selbst werden sich die ganze Lehre zu eigen machen, so daß Sie kaum merken, wie Sie dazu kommen. Das Überlieferte fängt bey Ihnen an zu leben und wieder productiv zu werden, wodurch ich denn voraussehe, daß diese Wissenschaft sehr bald Ihr Eigen¬ thum seyn wird. Nun lesen Sie den ersten Abschnitt."
Mit diesen Worten legte Goethe mir das aufgeschla¬ gene Buch vor. Ich fühlte mich sehr beglückt durch die gute Absicht, die er mit mir hatte. Ich las von den psychologischen Farben die ersten Paragraphen.
"Sie sehen, sagte Goethe, es ist nichts außer uns, was nicht zugleich in uns wäre, und wie die äußere Welt ihre Farben hat, so hat sie auch das Auge. Da es nun bey dieser Wissenschaft ganz vorzüglich auf scharfe Sonderung des Objectiven vom Subjectiven an¬ kommt, so habe ich billig mit den Farben, die dem Auge gehören, den Anfang gemacht, damit wir bey allen Wahrnehmungen immer wohl unterscheiden, ob die Farbe auch wirklich außer uns existire, oder ob es eine bloße Scheinfarbe sey, die sich das Auge selbst erzeugt hat. Ich denke also, daß ich den Vortrag dieser Wis¬ senschaft beym rechten Ende angefaßt habe, indem ich zunächst das Organ berichtige, durch welches alle Wahr¬ nehmungen und Beobachtungen geschehen müssen."
wenn wir die Abende, die wir zuſammenkommen, die ganze Farbenlehre mit einander durchleſen. Dadurch haben wir immer einen ſoliden Gegenſtand der Unter¬ haltung, und Sie ſelbſt werden ſich die ganze Lehre zu eigen machen, ſo daß Sie kaum merken, wie Sie dazu kommen. Das Überlieferte faͤngt bey Ihnen an zu leben und wieder productiv zu werden, wodurch ich denn vorausſehe, daß dieſe Wiſſenſchaft ſehr bald Ihr Eigen¬ thum ſeyn wird. Nun leſen Sie den erſten Abſchnitt.“
Mit dieſen Worten legte Goethe mir das aufgeſchla¬ gene Buch vor. Ich fuͤhlte mich ſehr begluͤckt durch die gute Abſicht, die er mit mir hatte. Ich las von den pſychologiſchen Farben die erſten Paragraphen.
„Sie ſehen, ſagte Goethe, es iſt nichts außer uns, was nicht zugleich in uns waͤre, und wie die aͤußere Welt ihre Farben hat, ſo hat ſie auch das Auge. Da es nun bey dieſer Wiſſenſchaft ganz vorzuͤglich auf ſcharfe Sonderung des Objectiven vom Subjectiven an¬ kommt, ſo habe ich billig mit den Farben, die dem Auge gehoͤren, den Anfang gemacht, damit wir bey allen Wahrnehmungen immer wohl unterſcheiden, ob die Farbe auch wirklich außer uns exiſtire, oder ob es eine bloße Scheinfarbe ſey, die ſich das Auge ſelbſt erzeugt hat. Ich denke alſo, daß ich den Vortrag dieſer Wiſ¬ ſenſchaft beym rechten Ende angefaßt habe, indem ich zunaͤchſt das Organ berichtige, durch welches alle Wahr¬ nehmungen und Beobachtungen geſchehen muͤſſen.“
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wenn wir die Abende, die wir zuſammenkommen, die
ganze Farbenlehre mit einander durchleſen. Dadurch
haben wir immer einen ſoliden Gegenſtand der Unter¬
haltung, und Sie ſelbſt werden ſich die ganze Lehre zu
eigen machen, ſo daß Sie kaum merken, wie Sie dazu
kommen. Das Überlieferte faͤngt bey Ihnen an zu
leben und wieder productiv zu werden, wodurch ich denn
vorausſehe, daß dieſe Wiſſenſchaft ſehr bald Ihr Eigen¬
thum ſeyn wird. Nun leſen Sie den erſten Abſchnitt.“
Mit dieſen Worten legte Goethe mir das aufgeſchla¬
gene Buch vor. Ich fuͤhlte mich ſehr begluͤckt durch
die gute Abſicht, die er mit mir hatte. Ich las von
den pſychologiſchen Farben die erſten Paragraphen.
„Sie ſehen, ſagte Goethe, es iſt nichts außer uns,
was nicht zugleich in uns waͤre, und wie die aͤußere
Welt ihre Farben hat, ſo hat ſie auch das Auge. Da
es nun bey dieſer Wiſſenſchaft ganz vorzuͤglich auf
ſcharfe Sonderung des Objectiven vom Subjectiven an¬
kommt, ſo habe ich billig mit den Farben, die dem
Auge gehoͤren, den Anfang gemacht, damit wir bey
allen Wahrnehmungen immer wohl unterſcheiden, ob die
Farbe auch wirklich außer uns exiſtire, oder ob es eine
bloße Scheinfarbe ſey, die ſich das Auge ſelbſt erzeugt
hat. Ich denke alſo, daß ich den Vortrag dieſer Wiſ¬
ſenſchaft beym rechten Ende angefaßt habe, indem ich
zunaͤchſt das Organ berichtige, durch welches alle Wahr¬
nehmungen und Beobachtungen geſchehen muͤſſen.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/351>, abgerufen am 25.11.2024.
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