womit sie Jedes erwiederten, und so schrieben sie Briefe zu hunderten, die sich alle gleich und alle Phrase wa¬ ren. In mir aber lag dieses nie. Wenn ich nicht Jemanden etwas Besonderes und Gehöriges sagen konn¬ te, wie es in der jedesmaligen Sache lag, so schrieb ich lieber gar nicht. Oberflächliche Redensarten hielt ich für unwürdig, und so ist es denn gekommen, daß ich manchem wackern Manne, dem ich gerne geschrieben hätte, nicht antworten konnte. Sie sehen ja selbst, wie das bey mir geht und welche Zusendungen von allen Ecken und Enden täglich bey mir einlaufen, und müs¬ sen gestehen, daß dazu mehr als ein Menschenleben gehören würde, wenn man alles nur flüchtig erwiedern wollte. Aber um Solger thut es mir leid, er ist gar zu vortrefflich und hätte vor vielen andern etwas Freund¬ liches verdient."
Ich brachte das Gespräch auf die Novelle, die ich nun zu Hause wiederholt gelesen und betrachtet hatte. Der ganze Anfang, sagte ich, ist nichts als Exposition, aber es ist darin nichts vorgeführt als das Nothwendige, und das Nothwendige mit Anmuth, so daß man nicht glaubt, es sey eines andern wegen da, sondern es wolle bloß für sich selber seyn und für sich selber gelten.
"Es ist mir lieb, sagte Goethe, wenn Sie dieses so finden. Doch Eins muß ich noch thun. Nach den Gesetzen einer guten Exposition nämlich muß ich die Besitzer der Thiere schon vorne auftreten lassen. Wenn
womit ſie Jedes erwiederten, und ſo ſchrieben ſie Briefe zu hunderten, die ſich alle gleich und alle Phraſe wa¬ ren. In mir aber lag dieſes nie. Wenn ich nicht Jemanden etwas Beſonderes und Gehoͤriges ſagen konn¬ te, wie es in der jedesmaligen Sache lag, ſo ſchrieb ich lieber gar nicht. Oberflaͤchliche Redensarten hielt ich fuͤr unwuͤrdig, und ſo iſt es denn gekommen, daß ich manchem wackern Manne, dem ich gerne geſchrieben haͤtte, nicht antworten konnte. Sie ſehen ja ſelbſt, wie das bey mir geht und welche Zuſendungen von allen Ecken und Enden taͤglich bey mir einlaufen, und muͤſ¬ ſen geſtehen, daß dazu mehr als ein Menſchenleben gehoͤren wuͤrde, wenn man alles nur fluͤchtig erwiedern wollte. Aber um Solger thut es mir leid, er iſt gar zu vortrefflich und haͤtte vor vielen andern etwas Freund¬ liches verdient.“
Ich brachte das Geſpraͤch auf die Novelle, die ich nun zu Hauſe wiederholt geleſen und betrachtet hatte. Der ganze Anfang, ſagte ich, iſt nichts als Expoſition, aber es iſt darin nichts vorgefuͤhrt als das Nothwendige, und das Nothwendige mit Anmuth, ſo daß man nicht glaubt, es ſey eines andern wegen da, ſondern es wolle bloß fuͤr ſich ſelber ſeyn und fuͤr ſich ſelber gelten.
„Es iſt mir lieb, ſagte Goethe, wenn Sie dieſes ſo finden. Doch Eins muß ich noch thun. Nach den Geſetzen einer guten Expoſition naͤmlich muß ich die Beſitzer der Thiere ſchon vorne auftreten laſſen. Wenn
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0333"n="313"/>
womit ſie Jedes erwiederten, und ſo ſchrieben ſie Briefe<lb/>
zu hunderten, die ſich alle gleich und alle Phraſe wa¬<lb/>
ren. In mir aber lag dieſes nie. Wenn ich nicht<lb/>
Jemanden etwas Beſonderes und Gehoͤriges ſagen konn¬<lb/>
te, wie es in der jedesmaligen Sache lag, ſo ſchrieb<lb/>
ich lieber gar nicht. Oberflaͤchliche Redensarten hielt<lb/>
ich fuͤr unwuͤrdig, und ſo iſt es denn gekommen, daß<lb/>
ich manchem wackern Manne, dem ich gerne geſchrieben<lb/>
haͤtte, nicht antworten konnte. Sie ſehen ja ſelbſt, wie<lb/>
das bey mir geht und welche Zuſendungen von allen<lb/>
Ecken und Enden taͤglich bey mir einlaufen, und muͤſ¬<lb/>ſen geſtehen, daß dazu mehr als <hirendition="#g">ein</hi> Menſchenleben<lb/>
gehoͤren wuͤrde, wenn man alles nur fluͤchtig erwiedern<lb/>
wollte. Aber um Solger thut es mir leid, er iſt gar<lb/>
zu vortrefflich und haͤtte vor vielen andern etwas Freund¬<lb/>
liches verdient.“</p><lb/><p>Ich brachte das Geſpraͤch auf die Novelle, die ich<lb/>
nun zu Hauſe wiederholt geleſen und betrachtet hatte.<lb/>
Der ganze Anfang, ſagte ich, iſt nichts als Expoſition,<lb/>
aber es iſt darin nichts vorgefuͤhrt als das Nothwendige,<lb/>
und das Nothwendige mit Anmuth, ſo daß man nicht<lb/>
glaubt, es ſey eines andern wegen da, ſondern es wolle<lb/>
bloß fuͤr ſich ſelber ſeyn und fuͤr ſich ſelber gelten.</p><lb/><p>„Es iſt mir lieb, ſagte Goethe, wenn Sie dieſes<lb/>ſo finden. Doch Eins muß ich noch thun. Nach den<lb/>
Geſetzen einer guten Expoſition naͤmlich muß ich die<lb/>
Beſitzer der Thiere ſchon vorne auftreten laſſen. Wenn<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[313/0333]
womit ſie Jedes erwiederten, und ſo ſchrieben ſie Briefe
zu hunderten, die ſich alle gleich und alle Phraſe wa¬
ren. In mir aber lag dieſes nie. Wenn ich nicht
Jemanden etwas Beſonderes und Gehoͤriges ſagen konn¬
te, wie es in der jedesmaligen Sache lag, ſo ſchrieb
ich lieber gar nicht. Oberflaͤchliche Redensarten hielt
ich fuͤr unwuͤrdig, und ſo iſt es denn gekommen, daß
ich manchem wackern Manne, dem ich gerne geſchrieben
haͤtte, nicht antworten konnte. Sie ſehen ja ſelbſt, wie
das bey mir geht und welche Zuſendungen von allen
Ecken und Enden taͤglich bey mir einlaufen, und muͤſ¬
ſen geſtehen, daß dazu mehr als ein Menſchenleben
gehoͤren wuͤrde, wenn man alles nur fluͤchtig erwiedern
wollte. Aber um Solger thut es mir leid, er iſt gar
zu vortrefflich und haͤtte vor vielen andern etwas Freund¬
liches verdient.“
Ich brachte das Geſpraͤch auf die Novelle, die ich
nun zu Hauſe wiederholt geleſen und betrachtet hatte.
Der ganze Anfang, ſagte ich, iſt nichts als Expoſition,
aber es iſt darin nichts vorgefuͤhrt als das Nothwendige,
und das Nothwendige mit Anmuth, ſo daß man nicht
glaubt, es ſey eines andern wegen da, ſondern es wolle
bloß fuͤr ſich ſelber ſeyn und fuͤr ſich ſelber gelten.
„Es iſt mir lieb, ſagte Goethe, wenn Sie dieſes
ſo finden. Doch Eins muß ich noch thun. Nach den
Geſetzen einer guten Expoſition naͤmlich muß ich die
Beſitzer der Thiere ſchon vorne auftreten laſſen. Wenn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/333>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.