sich stark und frey erhalte. Und eben das Schöne an seiner Natur sey nicht sowohl dieses, daß er in die Verirrungen der übrigen Charactere nicht hineingerathe, sondern daß der Dichter ihn so groß gemacht, daß er nicht hineingerathen könne.
Wir freuten uns über dieses Wort. "Das ist frey¬ lich sehr schön", sagte Goethe. Ich habe, sagte ich, den Character des Architekten auch immer sehr bedeutend und liebenswürdig gefunden, allein daß er eben deßwegen so vortrefflich sey, daß er vermöge seiner Natur in jene Verwickelungen der Liebe nicht hineingerathen könne, daran habe ich freylich nicht gedacht. "Wundern Sie sich darüber nicht, sagte Goethe, denn ich habe selber nicht daran gedacht, als ich ihn machte. Aber Solger hat Recht, es liegt allerdings in ihm."
"Dieser Aufsatz, fuhr Goethe fort, ist schon im Jahre 1809 geschrieben und es hätte mich damals freuen können, ein so gutes Wort über die Wahlverwandtschaften zu hören, während man in jener Zeit und später mir eben nicht viel Angenehmes über jenen Roman erzeigte."
"Solger hat, wie ich aus diesen Briefen sehe, viel Liebe zu mir gehabt; er beklagt sich in einem derselben, daß ich ihm auf den Sophocles, den er mir zugesendet, nicht einmal geantwortet. Lieber Gott! -- Aber wie das bey mir geht! Es ist nicht zu verwundern. Ich habe große Herren gekannt, denen man viel zusendete. Diese machten sich gewisse Formulare und Redensarten,
ſich ſtark und frey erhalte. Und eben das Schoͤne an ſeiner Natur ſey nicht ſowohl dieſes, daß er in die Verirrungen der uͤbrigen Charactere nicht hineingerathe, ſondern daß der Dichter ihn ſo groß gemacht, daß er nicht hineingerathen koͤnne.
Wir freuten uns uͤber dieſes Wort. „Das iſt frey¬ lich ſehr ſchoͤn“, ſagte Goethe. Ich habe, ſagte ich, den Character des Architekten auch immer ſehr bedeutend und liebenswuͤrdig gefunden, allein daß er eben deßwegen ſo vortrefflich ſey, daß er vermoͤge ſeiner Natur in jene Verwickelungen der Liebe nicht hineingerathen koͤnne, daran habe ich freylich nicht gedacht. „Wundern Sie ſich daruͤber nicht, ſagte Goethe, denn ich habe ſelber nicht daran gedacht, als ich ihn machte. Aber Solger hat Recht, es liegt allerdings in ihm.“
„Dieſer Aufſatz, fuhr Goethe fort, iſt ſchon im Jahre 1809 geſchrieben und es haͤtte mich damals freuen koͤnnen, ein ſo gutes Wort uͤber die Wahlverwandtſchaften zu hoͤren, waͤhrend man in jener Zeit und ſpaͤter mir eben nicht viel Angenehmes uͤber jenen Roman erzeigte.“
„Solger hat, wie ich aus dieſen Briefen ſehe, viel Liebe zu mir gehabt; er beklagt ſich in einem derſelben, daß ich ihm auf den Sophocles, den er mir zugeſendet, nicht einmal geantwortet. Lieber Gott! — Aber wie das bey mir geht! Es iſt nicht zu verwundern. Ich habe große Herren gekannt, denen man viel zuſendete. Dieſe machten ſich gewiſſe Formulare und Redensarten,
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ſich ſtark und frey erhalte. Und eben das Schoͤne an
ſeiner Natur ſey nicht ſowohl dieſes, daß er in die
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ſondern daß der Dichter ihn ſo groß gemacht, daß er
nicht hineingerathen koͤnne.
Wir freuten uns uͤber dieſes Wort. „Das iſt frey¬
lich ſehr ſchoͤn“, ſagte Goethe. Ich habe, ſagte ich,
den Character des Architekten auch immer ſehr bedeutend
und liebenswuͤrdig gefunden, allein daß er eben deßwegen
ſo vortrefflich ſey, daß er vermoͤge ſeiner Natur in jene
Verwickelungen der Liebe nicht hineingerathen koͤnne,
daran habe ich freylich nicht gedacht. „Wundern Sie ſich
daruͤber nicht, ſagte Goethe, denn ich habe ſelber nicht
daran gedacht, als ich ihn machte. Aber Solger hat
Recht, es liegt allerdings in ihm.“
„Dieſer Aufſatz, fuhr Goethe fort, iſt ſchon im
Jahre 1809 geſchrieben und es haͤtte mich damals freuen
koͤnnen, ein ſo gutes Wort uͤber die Wahlverwandtſchaften
zu hoͤren, waͤhrend man in jener Zeit und ſpaͤter mir
eben nicht viel Angenehmes uͤber jenen Roman erzeigte.“
„Solger hat, wie ich aus dieſen Briefen ſehe, viel
Liebe zu mir gehabt; er beklagt ſich in einem derſelben,
daß ich ihm auf den Sophocles, den er mir zugeſendet,
nicht einmal geantwortet. Lieber Gott! — Aber wie
das bey mir geht! Es iſt nicht zu verwundern. Ich
habe große Herren gekannt, denen man viel zuſendete.
Dieſe machten ſich gewiſſe Formulare und Redensarten,
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/332>, abgerufen am 24.11.2024.
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