Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

darüber her, mir von dem Stande der neuesten franzö¬
sischen Literatur einen Begriff zu machen und wenn es
glückt mich auch darüber auszusprechen. Es ist mir höchst
interessant zu sehen, daß diejenigen Elemente bey ihnen
erst anfangen zu wirken, die bey uns längst durchge¬
gangen sind. Das mittlere Talent ist freylich immer
in der Zeit befangen und muß sich aus denjenigen
Elementen nähren, die in ihr liegen. Es ist bey ihnen
bis auf die neueste Frömmigkeit alles dasselbige wie bey
uns, nur daß es bey ihnen ein wenig galanter und
geistreicher zum Vorschein kommt."

Was sagen aber Eure Excellenz zu B e ranger und
dem Verfasser der Stücke der Clara Gazul?

"Diese nehme ich aus, sagte Goethe, das sind große
Talente, die ein Fundament in sich selber haben und sich
von der Gesinnungsweise des Tages frey erhalten."
Dieses zu hören ist mir sehr lieb, sagte ich, denn ich
hatte über diese beyden ungefähr dieselbige Empfindung.

Das Gespräch wendete sich von der französischen
Literatur auf die deutsche. "Da will ich Ihnen doch
etwas zeigen, sagte Goethe, das für Sie Interesse haben
wird. Reichen Sie mir doch einen der beyden Bände
die vor Ihnen liegen. Solger ist Ihnen bekannt."
Allerdings, sagte ich, ich habe ihn sogar lieb. Ich be¬
sitze seine Übersetzung des Sophocles und sowohl diese
als die Vorrede dazu gaben mir längst von ihm eine
hohe Meinung. "Sie wissen, er ist vor mehreren Jahren

daruͤber her, mir von dem Stande der neueſten franzoͤ¬
ſiſchen Literatur einen Begriff zu machen und wenn es
gluͤckt mich auch daruͤber auszuſprechen. Es iſt mir hoͤchſt
intereſſant zu ſehen, daß diejenigen Elemente bey ihnen
erſt anfangen zu wirken, die bey uns laͤngſt durchge¬
gangen ſind. Das mittlere Talent iſt freylich immer
in der Zeit befangen und muß ſich aus denjenigen
Elementen naͤhren, die in ihr liegen. Es iſt bey ihnen
bis auf die neueſte Froͤmmigkeit alles daſſelbige wie bey
uns, nur daß es bey ihnen ein wenig galanter und
geiſtreicher zum Vorſchein kommt.“

Was ſagen aber Eure Excellenz zu B é ranger und
dem Verfaſſer der Stuͤcke der Clara Gazul?

„Dieſe nehme ich aus, ſagte Goethe, das ſind große
Talente, die ein Fundament in ſich ſelber haben und ſich
von der Geſinnungsweiſe des Tages frey erhalten.“
Dieſes zu hoͤren iſt mir ſehr lieb, ſagte ich, denn ich
hatte uͤber dieſe beyden ungefaͤhr dieſelbige Empfindung.

Das Geſpraͤch wendete ſich von der franzoͤſiſchen
Literatur auf die deutſche. „Da will ich Ihnen doch
etwas zeigen, ſagte Goethe, das fuͤr Sie Intereſſe haben
wird. Reichen Sie mir doch einen der beyden Baͤnde
die vor Ihnen liegen. Solger iſt Ihnen bekannt.“
Allerdings, ſagte ich, ich habe ihn ſogar lieb. Ich be¬
ſitze ſeine Überſetzung des Sophocles und ſowohl dieſe
als die Vorrede dazu gaben mir laͤngſt von ihm eine
hohe Meinung. „Sie wiſſen, er iſt vor mehreren Jahren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0330" n="310"/>
daru&#x0364;ber her, mir von dem Stande der neue&#x017F;ten franzo&#x0364;¬<lb/>
&#x017F;i&#x017F;chen Literatur einen Begriff zu machen und wenn es<lb/>
glu&#x0364;ckt mich auch daru&#x0364;ber auszu&#x017F;prechen. Es i&#x017F;t mir ho&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
intere&#x017F;&#x017F;ant zu &#x017F;ehen, daß diejenigen Elemente bey ihnen<lb/>
er&#x017F;t anfangen zu wirken, die bey uns la&#x0364;ng&#x017F;t durchge¬<lb/>
gangen &#x017F;ind. Das mittlere Talent i&#x017F;t freylich immer<lb/>
in der Zeit befangen und muß &#x017F;ich aus denjenigen<lb/>
Elementen na&#x0364;hren, die in ihr liegen. Es i&#x017F;t bey ihnen<lb/>
bis auf die neue&#x017F;te Fro&#x0364;mmigkeit alles da&#x017F;&#x017F;elbige wie bey<lb/>
uns, nur daß es bey ihnen ein wenig galanter und<lb/>
gei&#x017F;treicher zum Vor&#x017F;chein kommt.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Was &#x017F;agen aber Eure Excellenz zu <hi rendition="#g">B</hi> <hi rendition="#aq #g">é</hi> <hi rendition="#g">ranger</hi> und<lb/>
dem Verfa&#x017F;&#x017F;er der Stu&#x0364;cke der Clara Gazul?</p><lb/>
          <p>&#x201E;Die&#x017F;e nehme ich aus, &#x017F;agte Goethe, das &#x017F;ind große<lb/>
Talente, die ein Fundament in &#x017F;ich &#x017F;elber haben und &#x017F;ich<lb/>
von der Ge&#x017F;innungswei&#x017F;e des Tages frey erhalten.&#x201C;<lb/>
Die&#x017F;es zu ho&#x0364;ren i&#x017F;t mir &#x017F;ehr lieb, &#x017F;agte ich, denn ich<lb/>
hatte u&#x0364;ber die&#x017F;e beyden ungefa&#x0364;hr die&#x017F;elbige Empfindung.</p><lb/>
          <p>Das Ge&#x017F;pra&#x0364;ch wendete &#x017F;ich von der franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Literatur auf die deut&#x017F;che. &#x201E;Da will ich Ihnen doch<lb/>
etwas zeigen, &#x017F;agte Goethe, das fu&#x0364;r Sie Intere&#x017F;&#x017F;e haben<lb/>
wird. Reichen Sie mir doch einen der beyden Ba&#x0364;nde<lb/>
die vor Ihnen liegen. <hi rendition="#g">Solger</hi> i&#x017F;t Ihnen bekannt.&#x201C;<lb/>
Allerdings, &#x017F;agte ich, ich habe ihn &#x017F;ogar lieb. Ich be¬<lb/>
&#x017F;itze &#x017F;eine Über&#x017F;etzung des Sophocles und &#x017F;owohl die&#x017F;e<lb/>
als die Vorrede dazu gaben mir la&#x0364;ng&#x017F;t von ihm eine<lb/>
hohe Meinung. &#x201E;Sie wi&#x017F;&#x017F;en, er i&#x017F;t vor mehreren Jahren<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[310/0330] daruͤber her, mir von dem Stande der neueſten franzoͤ¬ ſiſchen Literatur einen Begriff zu machen und wenn es gluͤckt mich auch daruͤber auszuſprechen. Es iſt mir hoͤchſt intereſſant zu ſehen, daß diejenigen Elemente bey ihnen erſt anfangen zu wirken, die bey uns laͤngſt durchge¬ gangen ſind. Das mittlere Talent iſt freylich immer in der Zeit befangen und muß ſich aus denjenigen Elementen naͤhren, die in ihr liegen. Es iſt bey ihnen bis auf die neueſte Froͤmmigkeit alles daſſelbige wie bey uns, nur daß es bey ihnen ein wenig galanter und geiſtreicher zum Vorſchein kommt.“ Was ſagen aber Eure Excellenz zu B é ranger und dem Verfaſſer der Stuͤcke der Clara Gazul? „Dieſe nehme ich aus, ſagte Goethe, das ſind große Talente, die ein Fundament in ſich ſelber haben und ſich von der Geſinnungsweiſe des Tages frey erhalten.“ Dieſes zu hoͤren iſt mir ſehr lieb, ſagte ich, denn ich hatte uͤber dieſe beyden ungefaͤhr dieſelbige Empfindung. Das Geſpraͤch wendete ſich von der franzoͤſiſchen Literatur auf die deutſche. „Da will ich Ihnen doch etwas zeigen, ſagte Goethe, das fuͤr Sie Intereſſe haben wird. Reichen Sie mir doch einen der beyden Baͤnde die vor Ihnen liegen. Solger iſt Ihnen bekannt.“ Allerdings, ſagte ich, ich habe ihn ſogar lieb. Ich be¬ ſitze ſeine Überſetzung des Sophocles und ſowohl dieſe als die Vorrede dazu gaben mir laͤngſt von ihm eine hohe Meinung. „Sie wiſſen, er iſt vor mehreren Jahren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/330
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/330>, abgerufen am 24.11.2024.