Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

es sich von dem Drucke her, den er in der Militair¬
schule hatte leiden müssen."

"Dann aber in seinem reiferen Leben, wo er der
physischen Freyheit genug hatte, ging er zur ideellen
über, und ich möchte fast sagen, daß diese Idee ihn
getödtet hat; denn er machte dadurch Anforderungen
an seine physische Natur, die für seine Kräfte zu ge¬
waltsam waren."

"Der Großherzog bestimmte Schillern bey seiner
Hieherkunft einen Gehalt von jährlich tausend Tha¬
lern und erbot sich, ihm das Doppelte zu geben, im
Fall er durch Krankheit verhindert seyn sollte zu arbei¬
ten. Schiller lehnte dieses letzte Anerbieten ab und
machte nie davon Gebrauch. "Ich habe das Talent,
sagte er, und muß mir selber helfen können." Nun
aber, bey seiner vergrößerten Familie in den letzten Jah¬
ren, mußte er der Existenz wegen jährlich zwey Stücke
schreiben, und um dieses zu vollbringen trieb er sich,
auch an solchen Tagen und Wochen zu arbeiten, in
denen er nicht wohl war; sein Talent sollte ihm zu je¬
der Stunde gehorchen und zu Gebote stehen."

"Schiller hat nie viel getrunken, er war sehr mäßig;
aber in solchen Augenblicken körperlicher Schwäche suchte
er seine Kräfte durch etwas Liqueur oder ähnliches Spi¬
rituoses zu steigern. Dieß aber zehrte an seiner Ge¬
sundheit und war auch den Productionen selbst schädlich."

"Denn was gescheidte Köpfe an seinen Sachen aus¬

es ſich von dem Drucke her, den er in der Militair¬
ſchule hatte leiden muͤſſen.“

„Dann aber in ſeinem reiferen Leben, wo er der
phyſiſchen Freyheit genug hatte, ging er zur ideellen
uͤber, und ich moͤchte faſt ſagen, daß dieſe Idee ihn
getoͤdtet hat; denn er machte dadurch Anforderungen
an ſeine phyſiſche Natur, die fuͤr ſeine Kraͤfte zu ge¬
waltſam waren.“

„Der Großherzog beſtimmte Schillern bey ſeiner
Hieherkunft einen Gehalt von jaͤhrlich tauſend Tha¬
lern und erbot ſich, ihm das Doppelte zu geben, im
Fall er durch Krankheit verhindert ſeyn ſollte zu arbei¬
ten. Schiller lehnte dieſes letzte Anerbieten ab und
machte nie davon Gebrauch. „Ich habe das Talent,
ſagte er, und muß mir ſelber helfen koͤnnen.“ Nun
aber, bey ſeiner vergroͤßerten Familie in den letzten Jah¬
ren, mußte er der Exiſtenz wegen jaͤhrlich zwey Stuͤcke
ſchreiben, und um dieſes zu vollbringen trieb er ſich,
auch an ſolchen Tagen und Wochen zu arbeiten, in
denen er nicht wohl war; ſein Talent ſollte ihm zu je¬
der Stunde gehorchen und zu Gebote ſtehen.“

„Schiller hat nie viel getrunken, er war ſehr maͤßig;
aber in ſolchen Augenblicken koͤrperlicher Schwaͤche ſuchte
er ſeine Kraͤfte durch etwas Liqueur oder aͤhnliches Spi¬
rituoſes zu ſteigern. Dieß aber zehrte an ſeiner Ge¬
ſundheit und war auch den Productionen ſelbſt ſchaͤdlich.“

„Denn was geſcheidte Koͤpfe an ſeinen Sachen aus¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0328" n="308"/>
es &#x017F;ich von dem Drucke her, den er in der Militair¬<lb/>
&#x017F;chule hatte leiden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Dann aber in &#x017F;einem reiferen Leben, wo er der<lb/>
phy&#x017F;i&#x017F;chen Freyheit genug hatte, ging er zur ideellen<lb/>
u&#x0364;ber, und ich mo&#x0364;chte fa&#x017F;t &#x017F;agen, daß die&#x017F;e Idee ihn<lb/>
geto&#x0364;dtet hat; denn er machte dadurch Anforderungen<lb/>
an &#x017F;eine phy&#x017F;i&#x017F;che Natur, die fu&#x0364;r &#x017F;eine Kra&#x0364;fte zu ge¬<lb/>
walt&#x017F;am waren.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Der Großherzog be&#x017F;timmte Schillern bey &#x017F;einer<lb/>
Hieherkunft einen Gehalt von ja&#x0364;hrlich <hi rendition="#g">tau&#x017F;end</hi> Tha¬<lb/>
lern und erbot &#x017F;ich, ihm das Doppelte zu geben, im<lb/>
Fall er durch Krankheit verhindert &#x017F;eyn &#x017F;ollte zu arbei¬<lb/>
ten. Schiller lehnte die&#x017F;es letzte Anerbieten ab und<lb/>
machte nie davon Gebrauch. &#x201E;Ich habe das Talent,<lb/>
&#x017F;agte er, und muß mir &#x017F;elber helfen ko&#x0364;nnen.&#x201C; Nun<lb/>
aber, bey &#x017F;einer vergro&#x0364;ßerten Familie in den letzten Jah¬<lb/>
ren, mußte er der Exi&#x017F;tenz wegen ja&#x0364;hrlich zwey Stu&#x0364;cke<lb/>
&#x017F;chreiben, und um die&#x017F;es zu vollbringen trieb er &#x017F;ich,<lb/>
auch an &#x017F;olchen Tagen und Wochen zu arbeiten, in<lb/>
denen er nicht wohl war; &#x017F;ein Talent &#x017F;ollte ihm zu je¬<lb/>
der Stunde gehorchen und zu Gebote &#x017F;tehen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Schiller hat nie viel getrunken, er war &#x017F;ehr ma&#x0364;ßig;<lb/>
aber in &#x017F;olchen Augenblicken ko&#x0364;rperlicher Schwa&#x0364;che &#x017F;uchte<lb/>
er &#x017F;eine Kra&#x0364;fte durch etwas Liqueur oder a&#x0364;hnliches Spi¬<lb/>
rituo&#x017F;es zu &#x017F;teigern. Dieß aber zehrte an &#x017F;einer Ge¬<lb/>
&#x017F;undheit und war auch den Productionen &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;cha&#x0364;dlich.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Denn was ge&#x017F;cheidte Ko&#x0364;pfe an &#x017F;einen Sachen aus¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0328] es ſich von dem Drucke her, den er in der Militair¬ ſchule hatte leiden muͤſſen.“ „Dann aber in ſeinem reiferen Leben, wo er der phyſiſchen Freyheit genug hatte, ging er zur ideellen uͤber, und ich moͤchte faſt ſagen, daß dieſe Idee ihn getoͤdtet hat; denn er machte dadurch Anforderungen an ſeine phyſiſche Natur, die fuͤr ſeine Kraͤfte zu ge¬ waltſam waren.“ „Der Großherzog beſtimmte Schillern bey ſeiner Hieherkunft einen Gehalt von jaͤhrlich tauſend Tha¬ lern und erbot ſich, ihm das Doppelte zu geben, im Fall er durch Krankheit verhindert ſeyn ſollte zu arbei¬ ten. Schiller lehnte dieſes letzte Anerbieten ab und machte nie davon Gebrauch. „Ich habe das Talent, ſagte er, und muß mir ſelber helfen koͤnnen.“ Nun aber, bey ſeiner vergroͤßerten Familie in den letzten Jah¬ ren, mußte er der Exiſtenz wegen jaͤhrlich zwey Stuͤcke ſchreiben, und um dieſes zu vollbringen trieb er ſich, auch an ſolchen Tagen und Wochen zu arbeiten, in denen er nicht wohl war; ſein Talent ſollte ihm zu je¬ der Stunde gehorchen und zu Gebote ſtehen.“ „Schiller hat nie viel getrunken, er war ſehr maͤßig; aber in ſolchen Augenblicken koͤrperlicher Schwaͤche ſuchte er ſeine Kraͤfte durch etwas Liqueur oder aͤhnliches Spi¬ rituoſes zu ſteigern. Dieß aber zehrte an ſeiner Ge¬ ſundheit und war auch den Productionen ſelbſt ſchaͤdlich.“ „Denn was geſcheidte Koͤpfe an ſeinen Sachen aus¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/328
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/328>, abgerufen am 25.11.2024.