schrieben werden, ich hätte die Welt nicht erschaffen." Wir mußten lachen. "Was sagen Sie dazu, sagte Goethe, das war doch eine Abneigung, die ein wenig weit ging, und die man sich kaum erklären konnte."
Von dieser Abneigung, versetzte ich, haben dagegen unsere jungen Leute, besonders unsere Studenten, gar nichts. Die trefflichsten, reifsten Stücke von Schiller und Anderen können gegeben werden und man sieht von jungen Leuten und Studirenden wenige oder gar keine im Theater; aber man gebe Schillers Räuber oder Schillers Fiesko und das Haus ist fast allein von Stu¬ denten gefüllt. "Das war, versetzte Goethe, vor funfzig Jahren wie jetzt und wird auch wahrscheinlich nach funf¬ zig Jahren nicht anders seyn. Was ein junger Mensch geschrieben hat, wird auch wieder am besten von jungen Leuten genossen werden. Und dann denke man nicht, daß die Welt so sehr in der Cultur und gutem Geschmack vorschritte, daß selbst die Jugend schon über eine solche rohere Epoche hinaus wäre! Wenn auch die Welt im Ganzen vorschreitet, die Jugend muß doch immer wieder von vorne anfangen und als Individuum die Epochen der Welt-Cultur durchmachen. Mich irritirt das nicht mehr und ich habe längst einen Vers darauf gemacht, der so lautet:
Johannisfeuer sey unverwehrt. Die Freude nie verloren! Besen werden immer stumpf gekehrt Und Jungens immer geboren.
ſchrieben werden, ich haͤtte die Welt nicht erſchaffen.“ Wir mußten lachen. „Was ſagen Sie dazu, ſagte Goethe, das war doch eine Abneigung, die ein wenig weit ging, und die man ſich kaum erklaͤren konnte.“
Von dieſer Abneigung, verſetzte ich, haben dagegen unſere jungen Leute, beſonders unſere Studenten, gar nichts. Die trefflichſten, reifſten Stuͤcke von Schiller und Anderen koͤnnen gegeben werden und man ſieht von jungen Leuten und Studirenden wenige oder gar keine im Theater; aber man gebe Schillers Raͤuber oder Schillers Fiesko und das Haus iſt faſt allein von Stu¬ denten gefuͤllt. „Das war, verſetzte Goethe, vor funfzig Jahren wie jetzt und wird auch wahrſcheinlich nach funf¬ zig Jahren nicht anders ſeyn. Was ein junger Menſch geſchrieben hat, wird auch wieder am beſten von jungen Leuten genoſſen werden. Und dann denke man nicht, daß die Welt ſo ſehr in der Cultur und gutem Geſchmack vorſchritte, daß ſelbſt die Jugend ſchon uͤber eine ſolche rohere Epoche hinaus waͤre! Wenn auch die Welt im Ganzen vorſchreitet, die Jugend muß doch immer wieder von vorne anfangen und als Individuum die Epochen der Welt-Cultur durchmachen. Mich irritirt das nicht mehr und ich habe laͤngſt einen Vers darauf gemacht, der ſo lautet:
Johannisfeuer ſey unverwehrt. Die Freude nie verloren! Beſen werden immer ſtumpf gekehrt Und Jungens immer geboren.
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ſchrieben werden, ich haͤtte die Welt nicht erſchaffen.“
Wir mußten lachen. „Was ſagen Sie dazu, ſagte
Goethe, das war doch eine Abneigung, die ein wenig
weit ging, und die man ſich kaum erklaͤren konnte.“
Von dieſer Abneigung, verſetzte ich, haben dagegen
unſere jungen Leute, beſonders unſere Studenten, gar
nichts. Die trefflichſten, reifſten Stuͤcke von Schiller
und Anderen koͤnnen gegeben werden und man ſieht von
jungen Leuten und Studirenden wenige oder gar keine
im Theater; aber man gebe Schillers Raͤuber oder
Schillers Fiesko und das Haus iſt faſt allein von Stu¬
denten gefuͤllt. „Das war, verſetzte Goethe, vor funfzig
Jahren wie jetzt und wird auch wahrſcheinlich nach funf¬
zig Jahren nicht anders ſeyn. Was ein junger Menſch
geſchrieben hat, wird auch wieder am beſten von jungen
Leuten genoſſen werden. Und dann denke man nicht,
daß die Welt ſo ſehr in der Cultur und gutem Geſchmack
vorſchritte, daß ſelbſt die Jugend ſchon uͤber eine ſolche
rohere Epoche hinaus waͤre! Wenn auch die Welt im
Ganzen vorſchreitet, die Jugend muß doch immer wieder
von vorne anfangen und als Individuum die Epochen
der Welt-Cultur durchmachen. Mich irritirt das nicht
mehr und ich habe laͤngſt einen Vers darauf gemacht,
der ſo lautet:
Johannisfeuer ſey unverwehrt.
Die Freude nie verloren!
Beſen werden immer ſtumpf gekehrt
Und Jungens immer geboren.
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/317>, abgerufen am 26.11.2024.
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