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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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der Wärtel die Nachricht bringt, daß der Löwe oben an
der Ruine sich in die Sonne gelegt habe.

Während des Lesens hatte ich die außerordentliche
Deutlichkeit zu bewundern, womit alle Gegenstände bis
auf die kleinste Localität vor die Augen gebracht waren.
Der Auszug zur Jagd, die Zeichnungen der alten
Schloßruine, der Jahrmarkt, der Feldweg zur Ruine,
alles trat entschieden vor die Anschauung, so daß man
genöthiget war, sich das Dargestellte gerade so zu den[-]
ken, wie der Dichter es gewollt hatte. Zugleich war
alles mit einer solchen Sicherheit, Besonnenheit und
Herrschaft geschrieben, daß man vom Künftigen nichts
vorausahnen und keine Zeile weiter blicken konnte als
man las.

Eure Excellenz, sagte ich, müssen nach einem sehr
bestimmten Schema gearbeitet haben.

"Allerdings habe ich das, antwortete Goethe; ich
wollte das Süjet schon vor dreyßig Jahren ausführen
und seit der Zeit trage ich es im Kopfe. Nun ging es
mir mit der Arbeit wunderlich. Damals, gleich nach
Hermann und Dorothea, wollte ich den Gegenstand in
epischer Form und Hexametern behandeln und hatte
auch zu diesem Zweck ein ausführliches Schema ent¬
worfen. Als ich nun jetzt das Süjet wieder vornehme,
um es zu schreiben, kann ich jenes alte Schema nicht
finden und bin also genöthigt, ein neues zu machen
und zwar ganz gemäß der veränderten Form, die ich

der Waͤrtel die Nachricht bringt, daß der Loͤwe oben an
der Ruine ſich in die Sonne gelegt habe.

Waͤhrend des Leſens hatte ich die außerordentliche
Deutlichkeit zu bewundern, womit alle Gegenſtaͤnde bis
auf die kleinſte Localitaͤt vor die Augen gebracht waren.
Der Auszug zur Jagd, die Zeichnungen der alten
Schloßruine, der Jahrmarkt, der Feldweg zur Ruine,
alles trat entſchieden vor die Anſchauung, ſo daß man
genoͤthiget war, ſich das Dargeſtellte gerade ſo zu den[-]
ken, wie der Dichter es gewollt hatte. Zugleich war
alles mit einer ſolchen Sicherheit, Beſonnenheit und
Herrſchaft geſchrieben, daß man vom Kuͤnftigen nichts
vorausahnen und keine Zeile weiter blicken konnte als
man las.

Eure Excellenz, ſagte ich, muͤſſen nach einem ſehr
beſtimmten Schema gearbeitet haben.

„Allerdings habe ich das, antwortete Goethe; ich
wollte das Suͤjet ſchon vor dreyßig Jahren ausfuͤhren
und ſeit der Zeit trage ich es im Kopfe. Nun ging es
mir mit der Arbeit wunderlich. Damals, gleich nach
Hermann und Dorothea, wollte ich den Gegenſtand in
epiſcher Form und Hexametern behandeln und hatte
auch zu dieſem Zweck ein ausfuͤhrliches Schema ent¬
worfen. Als ich nun jetzt das Suͤjet wieder vornehme,
um es zu ſchreiben, kann ich jenes alte Schema nicht
finden und bin alſo genoͤthigt, ein neues zu machen
und zwar ganz gemaͤß der veraͤnderten Form, die ich

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[286/0306] der Waͤrtel die Nachricht bringt, daß der Loͤwe oben an der Ruine ſich in die Sonne gelegt habe. Waͤhrend des Leſens hatte ich die außerordentliche Deutlichkeit zu bewundern, womit alle Gegenſtaͤnde bis auf die kleinſte Localitaͤt vor die Augen gebracht waren. Der Auszug zur Jagd, die Zeichnungen der alten Schloßruine, der Jahrmarkt, der Feldweg zur Ruine, alles trat entſchieden vor die Anſchauung, ſo daß man genoͤthiget war, ſich das Dargeſtellte gerade ſo zu den- ken, wie der Dichter es gewollt hatte. Zugleich war alles mit einer ſolchen Sicherheit, Beſonnenheit und Herrſchaft geſchrieben, daß man vom Kuͤnftigen nichts vorausahnen und keine Zeile weiter blicken konnte als man las. Eure Excellenz, ſagte ich, muͤſſen nach einem ſehr beſtimmten Schema gearbeitet haben. „Allerdings habe ich das, antwortete Goethe; ich wollte das Suͤjet ſchon vor dreyßig Jahren ausfuͤhren und ſeit der Zeit trage ich es im Kopfe. Nun ging es mir mit der Arbeit wunderlich. Damals, gleich nach Hermann und Dorothea, wollte ich den Gegenſtand in epiſcher Form und Hexametern behandeln und hatte auch zu dieſem Zweck ein ausfuͤhrliches Schema ent¬ worfen. Als ich nun jetzt das Suͤjet wieder vornehme, um es zu ſchreiben, kann ich jenes alte Schema nicht finden und bin alſo genoͤthigt, ein neues zu machen und zwar ganz gemaͤß der veraͤnderten Form, die ich

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/306>, abgerufen am 25.11.2024.